Filmfestspiele Dieter Kosslicks letzte Berlinale

Berlin · Seit 18 Jahren ist er der wichtigste Mann der Berlinale. Nun führt Direktor Dieter Kosslick zum letzten Mal durch das Filmfest. Dabei vertraut er auch auf Ingwerwasser - und zieht Parallelen zum Mechanikerjob.

 Dieter Kosslick hat nicht nur rote Schals im Schrank hängen.

Dieter Kosslick hat nicht nur rote Schals im Schrank hängen.

Foto: Jörg Carstensen

Wenn Festivalchef Dieter Kosslick auf den Teppich tritt, dann nur mit Markenzeichen. "Ich werde meinen roten Schal tragen. Sonst besteht die Gefahr, dass man mich nicht erkennt", sagte Kosslick scherzhaft. Kommende Woche (7. Februar) beginnen die Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Für Kosslick wird es die letzte Berlinale als Direktor sein.

Viel Zeit habe er nicht, um über seinen Abschied nachzudenken. "Wir sind mittendrin in der Berlinale-Maschinerie", sagte der 70-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Erwartet werden unter anderem Leinwandstar Catherine Deneuve und US-Schauspieler Christian Bale. Der rote Teppich ist diesmal übrigens aus recycelten Fischernetzen.

Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche ("Chocolat") ist Jurychefin. Mit ihrem Team entscheidet sie, wer die Bären-Preise bekommen. Auch Schauspielerin Sandra Hüller ("Toni Erdmann", "In den Gängen") macht in dem Gremium mit. Das habe endlich geklappt, sagte Kosslick am Dienstag in Berlin, wo er Details zur 69. Berlinale vorstellte.

"Das Programm werden wir subsumieren unter dem 68er feministischen Spruch: "Das Private ist politisch"", hatte Kosslick angekündigt. Es seien überwiegend private Themen, die von Filmemachern abgehandelt worden seien. Familie scheine dabei ein zentrales Thema zu sein.

Im Wettbewerb läuft etwa Nora Fingscheidts "Systemsprenger" über das Jugendamt. Angela Schanelecs "Ich war zuhause, aber" erzählt vom Verschwinden eines Kinds. Auch der Eröffnungsfilm "The Kindness of Strangers" von Lone Scherfig handle von einer schwierigen Familienkonstruktion. "Obwohl es eine Komödie ist, die auch noch gut ausgeht. Versprochen", sagte Kosslick.

Familie sei ein großes Thema. "Ich glaube, das hat auch damit etwas zu tun, dass je größer dieser ganze Globalisierungswahnsinn wird, desto mehr sehnen sich die Menschen nach Geborgenheit." Die Filme auf der Berlinale dürften oft zeigen, wo es in Familien hakt.

Isabel Coixet nimmt sich in "Elisa y Marcela" eine Liebesgeschichte zwischen Frauen vor. Dass Netflix die Vertriebsrechte hält, dürfte für Debatten sorgen. Netflix produziert immer mehr Filme und gewann mit "Roma" in Venedig. Kinobetreiber sehen es kritisch, wenn Filme schnell online laufen. Auf der Berlinale werde eine filmpolitische Diskussion über Zeitfenster geführt werden müssen, sagte Kosslick.

Dass ein Netflix-Film im Wettbewerb läuft, verstößt seinen Worten zufolge nicht gegen Vorgaben. "Wir verfahren einfach nach unseren Regeln", sagte Kosslick. Demnach zeige man im Wettbewerb nur Filme, die fürs Kino geeignet seien. Es gebe ein Papier, dass Coixets Film in Spanien ins Kino komme, bevor er online gezeigt werde.

Bis zum 17. Februar laufen rund 400 Filme. Es steht kaum Hollywood, aber viel Kritisches im Programm. Kosslick nimmt kurzfristig auch den Dokumentarfilm "Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto" auf. "Alle AfD-Mitglieder, alle Abgeordneten im Bundestag der AfD, werden kostenlos ins Kino dürfen. Von mir persönlich eingeladen", sagte Kosslick. "Und wenn sie dann noch sagen, das ist ein Fliegenschiss, dann muss ich sagen, sollte vielleicht jemand anderes einschreiten als die Filmemacher."

Bei der Berlinale wird auch Mafia-Kritiker Roberto Saviano erwartet. Regisseur François Ozon widmet sich dem Missbrauch in der Kirche. Neben Fingscheidt und Schanelec tritt Fatih Akin als dritter deutscher Regisseur an. "Der Goldene Handschuh" handelt vom Serienmörder Fritz Honka.

Damit Kosslick die fast zwei Wochen durchhält, hat er ein paar Gewohnheiten. "Ich darf keine Erkältung bekommen", sagt er. "Da gibt es Rituale: Ich nehme afrikanische Immuntropfen und trinke Ingwer-Zitronen-Wasser jeden Morgen und grünen Tee." Kosslick war mit Schal, Hut und leicht abstehenden Haaren jahrelang "Mr. Berlinale". Der gebürtige Pfälzer leitet das Festival seit 2001.

Neben Cannes und Venedig zählt die Berlinale zu den drei großen Festivals. Zuletzt hatte es Kritik an der Filmauswahl Kosslicks und dem immer größer werdenden Festival gegeben. Manche kritisierten, die Berlinale habe stark an Profil verloren. Prominente Regisseure forderten Ende 2017 einen inhaltlichen Neustart des Festivals.

Nun läuft Kosslicks Vertrag aus und eine Doppelspitze übernimmt. Der Italiener Carlo Chatrian wird künstlerischer Leiter, Mariette Rissenbeek übernimmt die Geschäftsführung. Beide wollten sich vorab nicht äußern. Ob Kosslick einen gemeinsamen Auftritt plant? "Wir werden auch auf dem roten Teppich einmal sein", sagte Kosslick.

Seine Nachfolger haben keine einfache Aufgabe vor sich: Zum einen hochkarätige Filme gewinnen, zum anderen Stars, auf die viele Fans hoffen. Und das im kommenden Jahr noch parallel zur Oscar-Verleihung.

Anders als in Cannes und Venedig sind die Vorstellungen nicht nur Fachpublikum vorbehalten. Die Berlinale verkauft jedes Mal rund 350 000 Kinokarten. Das mache die Berlinale am schönsten, sagt Kosslick. "Dass wir so viel Publikum erreichen konnten."

Auf ihn wartet nochmal das große Rampenlicht. Während der Berlinale müsse man alles ritualisieren. "Man darf nicht darüber nachdenken, wie der Ablauf ist, weil man sonst völlig durcheinander kommt", sagt er. "Es muss quasi laufen wie bei einem Mechaniker, der genau weiß, welche Schrauben er zu drehen hat."

Auch bei seinem Schal gibt es eine Tradition. Seine richtig roten Schals seien 17, 18 Jahre alt. "Ich habe mir damals schon welche an die Seite gelegt", sagte Kosslick. "Ich habe einen, der noch originalverpackt ist. Den leiste ich mir zur diesjährigen Eröffnung."

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