Arbeitstitel "Gotthard" Drama unter Drahtjute

Pulheim · Der Gotthard liegt dieser Tage in Pulheim. Grund für diese nicht unerhebliche geografische Verschiebung: Das ZDF, das österreichische Fernsehen ORF und gleich mehrere Schweizer Fernsehsender setzen in einem derzeit leer stehenden Logistikzentrum im Gewerbegebiet Süd "Gotthard" in Szene.

 Pause: Die Schauspieler (von links) Pasquale Aleardi, Cornelius Obonya, Joachim Król und Maxim Mehmet am Set.

Pause: Die Schauspieler (von links) Pasquale Aleardi, Cornelius Obonya, Joachim Król und Maxim Mehmet am Set.

Foto: dpa

Den Bau des mit 15 Kilometern seinerzeit weltweit längsten Tunnels unter dem Schweizer Gotthardmassiv, der für Günther van Endert nicht weniger versinnbildlicht als "die ewige Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur". In diesem Fall dauerte sie von 1872 bis 1880, als der Tunnel fertig war.

Der ZDF-Redakteur ist kaum weniger als seine Schweizer Kollegin Lilian Räber ("Ein nationales Projekt") angetan von dem entstehenden Film. Im ZDF wird er irgendwann im kommenden Jahr zweimal 90 Minuten Sendezeit füllen - und er will mehr sein als ein Abenteuer, das zwei Männer im Kampf um die Liebe einer Frau zeigt und das historische Technikprojekt von seinerzeit gigantischen Ausmaßen nur als spektakuläre Kulisse missbraucht.

Spektakulär ist die Kulisse allerdings allemal. Szenenbildner Knut Loewe hat für die mitproduzierenden Hürther MMC Zodiac Studios 100 Meter Tunnel nachbauen lassen. Nicht ganz in Originalgröße, gesteht er. Mancher Bestandteil des Riesenprojektes aus der Wirklichkeit musste für die filmische Rekonstruktion etwas schrumpfen - und sei es nur, um es für die Kameras überhaupt erfassbar zu machen.

Das menschliche Auge jedenfalls hat gut zu tun, um die gewaltige Röhre aus mit Zement bespritzter Drahtjute, eingespannt in einen Rahmen aus Holz, zu überblicken. 30 bis 40 Mann haben rund acht Wochen lang daran gebaut und den Pulheimer Tunnel nicht nur mit Gleisen, sondern unter anderem auch mit vier größeren Tanks auf dem Tunneldach ausgestattet. Für Wasser, das in Bassins unter der Konstruktion wieder aufgefangen werden und für eine weitere Szene hochgepumpt werden kann.

Solche Einblicke ins Innenleben eines Sets verdeutlichen, wohin die Produktionskosten von acht bis zehn Millionen Euro - die federführenden Schweizer sind bei genauen Summen eher diskret - fließen. Die letzten sieben Drehtage von insgesamt 60 haben gestern in Pulheim begonnen, und erste fertige Szenen zeigen ein breites Spektrum zwischen Bergromantik und klaustrophobem Sozialdrama.

Aufs Sozialdrama legt Lilian Räber bei diesem "Rekordunternehmen" Wert: "Wir wollten Geschichte von unten erzählen", sagt sie und meint damit auch, dass die technische Meisterleistung Tunnelbau auf menschlicher Entgrenzung fußt. "Sehr viel Frühkapitalismus", sekundiert ZDF-Mann van Endert, werde da zu sehen sein. Und damit eine Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, die Sklaverei nahekommt. Unter den 199 Arbeitern, die während des Tunnelbaus starben, waren auch mindestens vier, die von einer Miliz während eines Streiks für mehr Arbeitslohn erschossen wurden. Von dem kargen Lohn mussten die Mineure das Öl fürs Licht in der bestenfalls stickig belüfteten Röhre auch noch selbst bezahlen.

"Ich bin der erste von mehreren Albträumen, die diese Leute jeden Tag hatten", beschreibt Cornelius Obonya seine Rolle als Akkordant Riedinger, der sich hochgedient und als Mann fürs Grobe verdient gemacht hat. Durchgängig sympathisch werden die Zuschauer auch Joachim Król nicht empfinden, der als Bauleiter Knecht eine historisch belegte Figur verkörpert, die sich "instrumentalisieren" ließ, wie Król es beschreibt.

Doch zwischen kapitalistischer Perfidie, menschlicher Rohheit und den Katastrophen des Tunnelbaus vom Wassereinbruch bis zum Steinschlag bleibt eben auch Zeit für die Irrungen und Wirrungen der Liebe. Die lässt Regisseur Urs Egger - ein Schweizer selbstverständlich - von Maxim Mehmet als Bauzeichner Max, Pasquale Aleardi als Mineur Tommaso und Miriam Stein als Fuhrmannstochter Anna ausspielen. Wer Anna gewinnt, wird natürlich nicht verraten.

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