Oscar-Verleihung 2014 Ein schwarzer Brite schreibt Geschichte

LOS ANGELES · Es gibt eine schöne Wort-Kreation im Englischen, wenn man Enttäuschung mit dezentem Spott ausdrücken will: "underwhelmed"; nicht über- sondern unterwältigt. Für die 86. Leistungsshow der Illusionsindustrie in Hollywood ist das fast noch geschönt. Trotz eines hochkarätig wie lange nicht gefüllten Teilnehmerfeldes zog sich die Oscar-Nacht wie Kaugummi. Hier der Abspann.

Die großen Gewinner: Mit "12 Years a Slave" hat die 6000-köpfige Academy-Jury Geschichte geschrieben. Denn mit Steve McQueen gewann zum ersten Mal ein schwarzer Regisseur, noch dazu ein Brite, den Preis für den besten Film. Die wahre Geschichte des Afroamerikaners Solomon Northup, der als freier Mann 1808 in New York geboren wurde, dann gekidnappt, entrechtet und als Sklave in den Süden verschleppt wird, setzt ein besonders dunkles Kapitel Amerikas in Szene. Hollywood zeigt fast 40 Jahre nach Alex Haleys "Roots" echtes Geschichtsbewusstsein.

Schwerkräftig, aber auch schwergewichtig genug? Mit sieben Goldstatuen hat das penibel akkurate Weltraum-Opus "Gravity" alle Skeptiker auf den Mond geschossen. Die Geschichte über eine Space-Shuttle-Mission, in der fast alles schief läuft, als das Raumschiff von Weltraumschrott zerstört wird, räumte die meisten Preise in den Handwerkskategorien (Kamera, Musik, Ton etc.) ab.

Mit Alfonso Cuarón ehrte die Academy auch den besten Regisseur. Kein Film mit Tiefgang oder Gesellschaftskritik. Aber 700 Millionen Dollar Ticket-Erlöse zeigen, dass die eingestellten Nasa-Raumfahrtprogramme doch irgendwie vermisst werden.

Die Dankesreden: Die Australierin Cate Blanchett (beste weibliche Hauptrolle in "Blue Jasmine") erwähnte den unter kamelleollen Missbrauchsvorwürfen stehenden Regisseur Woody Allen nur kursorisch und hielt ansonsten eine furiose Ermutigungsrede an und für Frauen im Filmgeschäft. Matthew McConaughey (beste männliche Hauptrolle in "Dallas Buyers Club") sprach etwas sehr ausgiebig über den lieben Gott und darüber, dass er bis ans Lebensende selbst sein größter Held sein will.

[kein Linktext vorhanden]Sein alleinerzogener Mitstreiter Jared Leto, der für das Aids-Überlebenshilfe-Drama als bester Nebendarsteller prämiert wurde, machte den Menschen in Venezuela und in der Ukraine Mut. "Während ihr kämpft, um eure Träume zu verwirklichen und das Unmögliche zu leben, denken wir heute Nacht an euch." Wirklich unter die Haut ging aber nur die aus Kenia stammende Lupita Nyong'o aus "12 Years a Slave" (beste weibliche Nebenrolle). So unbändig froh und im gleichen Moment ehrlich gerührt zu sein, das hat man lange nicht gesehen.

Die großen Verlierer: "American Hustle", die mit zehn Nominierungen gestartete Gauner-Farce, ging komplett baden. Das hatten Bradley Cooper, Christian Bale, Jennifer Lawrence & Co. nicht verdient. Auch Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio, Erfolgsgespann in Qualität und Umsatz, können machen, was sie wollen. Niemand wollte mit ihrem "The Wolf of Wall Street" heulen.

[kein Linktext vorhanden]Die Moderatorin: Ellen DeGeneres begann angenehm unspektakulär mit leichten Witzen. Ohne gemein zu sein. Halt, bis auf eine Ausnahme. Sie nannte die echte Liza Minnelli (bei der man zugegeben zwei Mal hinschauen musste, bis man den Kosmetik-Chirurgen verstanden hatte) ein prima Liza-Minnelli-Double - "gute Arbeit, Sir".

Später ließ die Talkshow-Frau drastisch nach, saß dauernd im Publikum, kaute auf einer öden Ich-hol-dann-mal-Pizza-Nummer herum und verhaspelte sich fast so schlimm wie John Travolta. Was von ihr bleibt? Ein zur PR-Aktion für einen südkoreanischen Hersteller gewordenes Handy-Selbstporträt, auf dem DeGeneres Meryl Streep und andere Stars um sich scharte. Ist bei Twitter jetzt das am häufigsten "rietwietete" Foto weltweit. Ich selfie, also bin ich...

Die schönsten Momente am Rande: Spike Jonze gewann den Oscar für das beste Original-Drehbuch in "Her". Eine hellwache Story über einen kauzigen Mann, der sich in eine künstliche Intelligenz verliebt. Verdient jeden Zuschauer. Weil es einen Vorgeschmack gibt auf künftige Paarprobleme im iPhone-Zeitalter.

[kein Linktext vorhanden]Und weil der unerreichte Joaquin Phoenix mitspielt. "20 Feet From Stardom", prämiert für die beste Dokumentation, ist die herzerweichende Geschichte großer Background-Sängerinnen in Pop und Soul. Bei der Übergabe der Trophäe legte Darlene Love, einer der Besten ihres Fachs, eine A-capella-Version hin, dass es die Gäste im Dolby Theater von Los Angeles aus den Sitzen hob: "I sing because I'm happy, I sing because I'm free."