Entführt und getötet: Leiche von junger Kurdin gefunden

Großensee/Lübeck · Eine junge Kurdin wird mitten in Deutschland entführt. Der Grund: Die aus Sicht ihrer Familie verbotene Liebe zu einem Bäckergesellen. Zweieinhalb Monate später wird ihre Leiche gefunden. Die Polizei glaubt, dass Geschwister sie verschleppt haben. Sie sind in Haft.

 Beamte der Spurensicherung untersuchen in Großensee (Kreis Stormarn) den Fundort einer Frauenleiche. Spaziergänger hatten die Tote am Freitagvormittag am Rande eines Golfplatzes entdeckt.

Beamte der Spurensicherung untersuchen in Großensee (Kreis Stormarn) den Fundort einer Frauenleiche. Spaziergänger hatten die Tote am Freitagvormittag am Rande eines Golfplatzes entdeckt.

Foto: dpa

Detmold, die Nacht zum 1. Novembervergangenen Jahres: Die 18-jährige Kurdin Arzu Ö. ist bei ihremFreund Alex. Gegen 1.30 Uhr drängen sich fünf Menschen in die Wohnungin der Talstraße. Alex und zwei Freunde berichten später, dass siemit einer Handfeuerwaffe bedroht wurden. Die Täter brechen Alex einenFinger und verschleppen die junge Frau.

Zweieinhalb Monate später, am vergangenen Freitag, findet einGolfplatz-Angestellter im schleswig-holsteinischen Großensee eineFrauenleiche in einem Gebüsch. Aller Wahrscheinlichkeit nach handeltes sich um Arzu Ö..

Die Polizei glaubt, dass fünf ihrer Geschwister sie entführthatten, vier Brüder und eine Schwester. Alle sind seit vielen Wochenin U-Haft. Einer der Brüder räumte bereits vor mehreren Wochen ineiner Vernehmung ein, dass die Geschwister Arzu den Kopf waschenwollten. An der Entführung habe er aber nicht teilgenommen. EineTötung von Arzu verneint er. Ansonsten schweigen die fünf.

Schon seit längerem ging die Polizei davon aus, dass Arzu nach derVerschleppung getötet wurde. Allen fünf wurde entsprechendGeiselnahme mit Todesfolge vorgeworfen.

Die Familie Ö. stammt aus einem kleinen Dorf mit 300 Einwohnern imKurdengebiet im Süden der Türkei. Seit gut 25 Jahren lebt die Familiein Deutschland: Die Großeltern, die Eltern und die zehn Kinder, allemit deutschem Pass. Es sind Jesiden, eine Glaubensrichtung, die demChristentum näher ist als dem Islam. Eine ihrer Regeln sagt: Wer sichmit einem Nicht-Jesiden zusammentut, wird aus der Gemeinschaftausgeschlossen. Alex ist kein Jeside.

Bis zum vergangenen Sommer galt die Familie als ruhig,rechtschaffen und ordentlich. "Die Familie Ö. ist eigentlich einParadebeispiel für eine gelungene Integration", sagte Anwalt DetlevBinder, der einen inhaftierten Bruder vertritt, Anfang Dezember."Alle sind zur Schule gegangen, haben eine Ausbildung gemacht, habenArbeit." Die älteste Tochter arbeitet sogar bei der Stadtverwaltung.Auch sie sitzt seit Wochen in U-Haft.

Was geschah im Sommer? Arzu jobbt in einer nahe gelegenenBäckerei. In diesen Wochen muss es gefunkt haben zwischen der jungenFrau mit den langen schwarzen Haaren und dem fünf Jahre älterenBäckergesellen.

Eine verbotene Liebe. Ende August ist ein Fall "häuslicher Gewalt"aktenkundig. Die junge Frau soll von Familienmitgliedern verprügeltworden sein. Arzu flieht ins Frauenhaus. Sie schneidet sich die Haarekurz und färbt sie blond. "Die Familie Ö. hat intensiv nach derTochter gesucht", sagte vor einigen Wochen Jürgen Heinz, Leiter derSonderkommission "Talstraße", "Frauenhäuser angeschrieben, das Umfeldbefragt."

Arzu sei intensiv beraten worden, nicht zu Alex zu gehen. DieWohnung ihres Freundes liegt gerade mal anderthalb Kilometer vomElternhaus entfernt. "Aber sie ist 18, dazu verliebt", so Heinzweiter. In der Nacht zum 1. November hält es Arzu nicht mehr aus,übernachtet bei Alex, ein verhängnisvoller Fehler.

Die Beamten stoßen bei ihren Befragungen in der weitläufigenFamilie - allein in der Region an die 100 Verwandte - und im Umfeldauf eine Mauer des Schweigens. Medienberichte und heftige Debatten inInternetforen veranlassen den Zentralrat der Jesiden in Deutschlanddazu, sich von jeglicher Gewalt zu distanzieren. "Es gibt keinen"Ehrenmord" im Jesidentum", betont der Zentralrat.

Arzu bleibt verschwunden und auch die Hoffnung wird geringer, sienoch lebend wiederzufinden. Mehrmals durchsuchen HundertschaftenWaldgebiete in Ostwestfalen. In der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY"wird die Bevölkerung um Mithilfe gebeten. 5000 Euro Belohnung setztdie Staatsanwaltschaft aus. Per Rechtshilfeersuchen über dasBundeskriminalamt bitten die Ermittler ihre Kollegen in der Türkei,im Umfeld der Familie zu ermitteln.

Die 18-Jährige wurde wohl nicht am Fundort getötet, sagt diePolizei. Und dass die Frau "eines gewaltsamen Todes" gestorben ist.Mehr wollen die Ermittler an diesem Wochenende erstmal nichtpreisgeben.

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