Katastrophengebiet Erftstadt Wo Häuser waren, ist jetzt ein Loch

Erftstadt · In Erftstadt-Blessem hat das Wasser viele Gebäude unterspült und mitgerissen. Einwohner kämpfen vereint gegen die Fluten und die verheerenden Folgen der Hochwasser-Katastrophe.

 Trümmer eingestürzter Häuser in Erftstadt-Blessem.

Trümmer eingestürzter Häuser in Erftstadt-Blessem.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Ahmed Nasir stapft mit zwei Koffern, die er sich über die Schultern geworfen hat, durchs knietiefe Wasser seines Heimatdorfes Blessem, das zu Erftstadt gehört. Nach dem extremen Starkregen war die Erft über die Ufer getreten. „Ich hole meine Wertgegenstände noch schnell raus“, sagt er. Seine Familie sei schon längst in Sicherheit gebracht. „Aber die Sachen musste ich noch holen, unter anderem unsere Ausweise“, sagt er.

Sein Haus steht keine 150 Meter entfernt von der Abbruchkante. Durch massive Unterspülungen sind dort mehrere Gebäude eingestürzt; wo sie gestanden haben, gähnt nun ein riesiger Krater, in den unaufhörlich Wasser aus dem Dorf fließt.

Mindestens 55 Menschen sind aus den Fluten gerettet worden, von denen die Anwohner überrascht wurden, einige von ihnen kamen mit Hubschraubern in Sicherheit. So geht es auch einem Bundeswehrsoldaten, der an der Abbruchkante steht und in den Krater blickt. Das da vorne, erklärt er und zeigt auf ein Haus, das noch steht, aber direkt an der Kante, sei sein Elternhaus. „Meine Eltern konnten mit einem Hubschrauber gerettet werden“, sagt er.

Bundeswehr hilft in Erftstadt

Die Bundeswehr ist mit massiven Einsatzkräften vor Ort, um zu helfen; insgesamt 900 Personen sind in den Hochwassergebieten im Einsatz. 15 Menschen, so hieß es am Freitagvormittag, seien noch in Häusern im gefährdeten Bereich eingeschlossen. Die Sicherheitskräfte appellieren dringend an bereits evakuierte Bewohner, nicht in ihre Häuser zurückzukehren: Das sei lebensgefährlich.

Ahmed Nasir scheint das egal zu sein. Er ist zurückgekommen, um noch etwas aus seinem Haus zu retten. Einige der Menschen, die ums Leben gekommen sind, kennt er gut. „Das waren meine Nachbarn. Alles liebe Leute. Das ist so schlimm“, sagt er. „Wir haben nur Glück gehabt, weil unser Haus ein paar Meter weiter entfernt steht“, sagt er.

Auch Uwe Schnitzler ist in sein Haus zurückgekehrt. „Das Wasser kam um Mitternacht. Dann bin ich schnell raus und ins Nachbardorf zu meinen Schwiegereltern“, sagt er. Heute sei er dann nach Blessem zurückgekommen. Vorgefunden hat er einen völlig verwüsteten Garten, sein Keller ist vollgelaufen, allerhand angespülter Unrat liegt auf seinem Grundstück. „Aber ich lebe“, sagt er. „Das ist die Hauptsache.“

Luftbilder und Fotos zeigen Erd­rutsche von gewaltigem Ausmaß. Häuser wurden mitgerissen und verschwanden. Autos lagen in neu entstandenen riesigen Erdlöchern neben Betonteilen der ehemaligen Kanalisation. Die Lage ist nach Angaben des zuständigen Landrats des Rhein-Erft-Kreises, Frank Rock (CDU), unübersichtlich. Rock sagt am Freitag, es seien 50 Menschen mit Booten gerettet worden, aber auch wieder welche auf eigene Faust in bereits evakuierte Häuser zurückgekehrt – wie Nasar und Schnitzler. Die Flut sei sehr schnell gekommen, Senken hätten binnen zehn Minuten unter Wasser gestanden. Es habe kaum Zeit gegeben, die Menschen zu warnen. „Es ist eine katastrophale Lage, wie wir sie hier noch nie hatten“, sagt Rock.

Die Lage in Erftstadt bleibt angespannt

Ständig kreist ein Hubschrauber über Blessem, Sirenen heulen auf. Das Örtchen ist Katastrophengebiet. Ein Helfer, der durch Blessem stapft, sagt, dass man nicht ausschließen könnte, dass noch mehr abrutscht. Möglicherweise ist der Ort noch stärker unterspült. Schwere Fahrzeuge fahren deshalb schon nicht mehr durch.

In der Innenstadt von Erftstadt rüstet man sich am Freitagnachmittag für das Schlimmste; das Zentrum liegt rund vier Kilometer entfernt von Blessem. Die Geschäftsleute haben ihre Läden mit Sandsäcken verbarrikadiert und in den Straßen kleine Dämme errichtet. Ständig bringen Bagger und Lastwagen neuen Sand und Säcke ins Zentrum. Alle packen dort beherzt mit an, auf dem Marktplatz schaufeln Anwohner, Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleute den Sand in die Säcke. „Wir stehen hier zusammen“, sagt eine Frau – die Szene ist ein beeindruckendes Bild der Solidarität.

Die Lage bleibt angespannt. Einige der Autobahnen rund um Erftstadt sind komplett gesperrt, Lastwagen stehen vor den Zufahrten zur Autobahn Schlange. In der Nähe stürzen Teile der gesperrten Autobahn 1 in den Fluss. Die Polizei versucht, den Verkehr zu lenken, so gut es geht. Vor Blessem hat die Einsatzleitung ihre Zentrale auf einem Parkplatz aufgebaut. Die Straßen in das überflutete Örtchen sind mit Flatterband abgesperrt. Dennoch werden die Absperrungen immer wieder missachtet. Wie gefährlich das sein kann, zeigt sich am Freitagmittag. Ein älterer Autofahrer steht plötzlich mit seinem Wagen 50 Meter vor der Abbruchkante. „Kann ich hier durchfahren?“, fragt er. Fast im letzten Moment wird er davon abgehalten und kehrt um.

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