Faktenchecks Bei diesen Nachrichten zur Flutkatastrophe handelt es sich um Fake-News

Analyse | Bonn · Immer wieder geistern Nachrichten zur Flutkatastrophe durch die sozialen Netzwerke, die vermeintliche Lügen aufdecken oder Angst verbreiten sollen. Wir zeigen, woher die Meldungen stammen, warum sie nicht wahr sein können und wer sie verbreitet.

 Nach der Flutkatastrophe kursierten zahlreiche Fake News in den sozialen Netzwerken.

Nach der Flutkatastrophe kursierten zahlreiche Fake News in den sozialen Netzwerken.

Foto: dpa/Boris Roessler

Beim ersten Lesen lösen diese Nachrichten große Bestürzung aus: Mehr als 800 Menschen seien durch die Flutkatastrophe ums Leben gekommen - deutlich mehr als offiziell bekanntgegeben. Hunderte Minderjährige sollen ertrunken, ihre Leichen im Kreis Ahrweiler angespült worden sein. Und statt sich sofort um die Menschen vor Ort zu kümmern, hätten Feuerwehr, Technisches Hilfswerk (THW) und Bundeswehr sich erst fünf Tage nach der Flutkatastrophe im Ahrtal blicken lassen.

Was all diese Nachrichten gemeinsam haben: Sie sind nicht wahr. Hierbei handelt es sich um Fake-News, also Falschmeldung, die jedoch massenhaft in den sozialen Netzwerken geteilt und verbreitet werden. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat die häufigsten von ihnen einem Faktencheck unterzogen.

Keine Hinweise auf deutlich mehr Todesopfer nach der Flutkatastrophe in Ahrweiler

Kann es sein, dass tatsächlich mehr als 800 Menschen ums Leben gekommen sind, also fast sechsmal so viele wie bislang offiziell bekanntgegeben? In einem Bild auf Facebook, das wie eine Zeitungsmeldung aussieht, wird das zumindest behauptet (hier ist es archiviert). Der Text beruft sich auf „Kreise aus der Bundeswehr“. Diese Art von Bildern wird als Sharepic bezeichnet, sie bestehen meist aus einem kurzen, aussagekräfitgen Text und lassen sich einfach teilen.

  • Bewertung: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer infolge der Flut im Landkreis Ahrweiler bei 800 liegt. Die Behörden dort haben bislang 141 Todesfälle bestätigt (Stand: 19. August 2021). Die Bundeswehr kann solche Angaben auf dpa-Anfrage nicht bestätigen.
  • Fakten: Über eine Bilder-Rückwärtssuche lässt sich feststellen, dass das Sharepic nicht von einer Zeitung stammt, sondern ein Screenshot der Webseite „Arbeitsgemeinschaft Staatlicher Selbstverwaltungen“ ist. In diesem Blog wird die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als Staat angezweifelt. Als Quelle für die Zahl wird in dem Blog „ein Freund von mir bei der Bundeswehr“ angegeben. Um die Zahl der Opfer zu verschleiern, würden demnach angeblich auch freiwillige Helfer ferngehalten. Dass Helfer nicht in die betroffenen Gebiete gelassen würden, haben aber bereits andere Faktenchecks widerlegt (siehe weiter unten). Ein Sprecher des für die Hilfe in Ahrweiler zuständigen Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr teilte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage mit, eine derartige Menge an verunglückten Flutopfern könne „durch uns nicht bestätigt werden“. Als ein Beleg für die Zahl 800 wird in dem Sharepic auch behauptet, dass „allein in einer Kirche“ 20 Tote gefunden worden seien. Auf dpa-Anfrage teilte das Bistum Trier mit, dem örtlichen Seelsorger sei das Gerücht bekannt, die Behauptung sei aber „nicht richtig“. Die Polizei Koblenz widerspricht auf Twitter dem Gerücht, es seien mehrere Tote „an einer Stelle“ gefunden worden.

Keine Hinweise auf hunderte minderjährige Todesopfer im Kreis Ahrweiler

In einem weiteren Sharepic auf Facebook (hier ist es archiviert) wird behauptet, in einer Kirche seien 600 Kinderleichen aufgetaucht, die nicht zuzuordnen seien.

  • Bewertung: Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass im Kreis Ahrweiter 600 Leichen Minderjähriger gefunden wurden. Das Gerücht beruht laut dpa vermutlich auf einer falsch interpretierten Videoschalte.
  • Fakten: Im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz sind von allen betroffenen Gebieten die meisten Menschen umgekommen. Inzwischen wurden dort 141 Todesopfer gefunden, in ganz Rheinland-Pfalz sind es 142. Vier Menschen werden noch immer vermisst (Stand: 18.August 2021). Darauf, dass die tatsächliche Zahl der Opfer um ein Vielfaches höher wäre - geschweige denn darauf, dass allein 600 Minderjährige ums Leben gekommen wären - gibt es keine Hinweise. Die Polizei Koblenz bezeichnete die Behauptung bereits am 29. Juli in einer live als Video übertragenen Pressekonferenz mit dem Krisenstab des Landkreises Ahrweiler als „derzeit kursierende Fake News, Falschmeldung“. Das Bistum Trier teilte mit, dem örtlichen Seelsorger sei das Gerücht bekannt, die Behauptung sei aber „nicht richtig“. Auch das für die Hilfe in Ahrweiler zuständige Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr antwortete, von einem angeblichen Fund Hunderter Leichen in der Region sei nichts bekannt. Die älteste aufzufindende Fassung des Sharepics steht auf dem Blog „Germanenherz“ und ist am selben Tag vom Betreiber auch auf Facebook gepostet worden. In dem Blog sind vor allem Texte zu finden, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als Staat anzweifeln. Der Blog bezieht sich auf ein von einem Bildschirm abgefilmten Ausschnitt aus einer Videoschalte des Nachrichtensenders n-tv, in dessen Titel ebenfalls fälschlich die Zahl aus dem Sharepic genannt wird. Darin berichtet der Reporter Andreas Schopf zwar davon, dass Anwohner von in ihren Häusern angeschwemmten Kinderleichen erzählt hätten. Von der Zahl 600 ist allerdings nicht die Rede. Der Sender n-tv teilte mit, den Reportern des Senders sei „vereinzelt“ von toten Kindern berichtet worden, aber „niemals“ von einer solchen Anzahl.

Offizielle Helfer waren mit Beginn der Flutkatastrophe im Einsatz - nicht erst Tage später

Nicht selten wurden die Flutkatastrophe und die Corona-Pandemie in den sozialen Medien in (eine oftmals krude) Verbindung gebracht. So kursierte unter anderem der Vorwurf, dass die Behörden schnell seien, wenn es um Corona-Maßnahmen gehe, bei der Flutkatastrophe jedoch hätten sie versagt. In einem Facebook-Post (hier ist er archiviert, das Original ist nicht mehr abrufbar) wird behauptet, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk (THW) und Bundeswehr hätten sich im Ahrtal „fünf Tage nicht blicken lassen“, bei einem Bus für Impfungen sei es hingegen „sehr schnell“ gegangen.

  • Bewertung: Die Behauptung ist falsch. THW und Feuerwehren waren im Kreis Ahrweiler bereits mit Beginn der Katastrophe am 14. Juli 2021 im Einsatz, die Bundeswehr am 15. Juli.
  • Fakten: Spätestens am Mittwoch, 14. Juli, war klar, dass es im Ahrtal zu schweren Überschwemmungen kommen würde. Der Landkreis Ahrweiler hat auf seiner Internet-Seite chronologisch Informationen zum Einsatz der verschiedenen Hilfsorganisationen veröffentlicht. Im Lagebericht vom 14. Juli 2021 um 20.15 Uhr werden bereits Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, DRK, Polizei sowie Verwaltungskräfte der Kreisverwaltung erwähnt. Es seien „mehrere hundert aktive Kräfte im Einsatz“, heißt es darin. Die Bundeswehr erwähnt die Kreisverwaltung erstmals in einer Pressemitteilung vom 15. Juli 2021. Bilder der Einsätze von THW und Feuerwehr in diesen Tagen sind auch in Artikeln aus diesen Tagen zu finden. Die Bundeswehr schreibt in einer Pressemitteilung vom 16. Juli 2021, dass erste Bitten um Amtshilfe aus Rheinland-Pfalz am frühen Nachmittag des 14. Juli eintrafen. In der Mitteilung heißt es weiter, im Landkreis Ahrweiler befänden sich Rettungshubschrauber, Radlader und „tiefwatfähige Fahrzeuge sowie etwa 100 Kräfte“ im Einsatz. Bereits in einem Tweet der Bundeswehr vom 15. Juli sieht man Generalleutnant Martin Schelleis vor dem Tower des Flugplatzes auf der Bengener Heide bei Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Die Flutkatastrophe begann am 14. Juli, Feuerwehr und THW waren also noch am selben Tag im Einsatz, die Bundeswehr einen Tag später. Impfbusse werden nach Angaben des Landkreises seit dem 20. Juli 2021 eingesetzt - also erst mehrere Tage nachdem die behördlich koordinierte Katastrophenhilfe damit begonnen hatte, sich um die unmittelbaren Flutfolgen zu kümmern.

Geld aus dem Fluthilfefonds von 2014 floss zurück in den Bundeshaushalt - und nicht in die Unterbringung von Flüchtlingen

Viele Menschen verloren bei der Flutkatastrophe all ihr Hab und Gut. Ihnen blieb im wahrsten Sinne nur das, was sie am Leib trugen. Kein Wunder also, dass sich viele schnell und unkomplizierte Unterstützung von der Bundesregierung wünschen. Ein Blogger behauptet allerdings auf Facebook (hier ist der Post archiviert), dass die Sofort-Hilfe „so gering“ sei, weil die Bundesregierung 2014 Geld „aus dem Fluthilfe-Fonds stattdessen für Flüchtlinge“ ausgegeben habe.

  • Bewertung: Diese Behauptung ist falsch. Der Fluthilfefonds war nie auf Dauer angelegt. Geld, das nicht ausgegeben wurde, floss zurück in den Bundeshaushalt.
  • Fakten: Schon im Jahr 2013 verursachte ein Hochwasser verheerende Schäden in Deutschland. Betroffen waren damals deutlich mehr Bundesländer als in diesem Jahr. Um die Flutschäden zu beseitigen, hatte die Bundesregierung danach gemeinsam mit den Ländern das sogenannte „Sondervermögen Aufbauhilfe“ in Höhe von acht Milliarden Euro aufgesetzt, aus dem der Wiederaufbau der betroffenen Regionen bezahlt werden sollte. In der Berichterstattung wurde es meist als Fluthilfefonds bezeichnet. Das „Sondervermögen Aufbauhilfe“ war aber nicht auf Dauer angelegt. Die Bewilligungsfrist für Anträge lief am 30. Juni 2016 ab, danach wurde kein Geld mehr genehmigt. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage schrieb die damalige Bundesregierung, es sei auch „nicht geplant, Mittel in einem Sondervermögen für mögliche künftige Ereignisse zu belassen“. Darin steht auch, dass der Bundeshaushalt 2016 mit Einnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro aus diesem Sondervermögen plane. Übrig gebliebenes Geld aus dem Fonds ging also nicht an Flüchtlinge, sondern zurück an den Bund. Als sich 2014 abzeichnete, dass das Geld nicht vollständig abgerufen würde, hatte der damalige bayerische Finanzminister und heutige Ministerpräsident Markus Söder (CSU) tatsächlich die Idee, damit die Länder bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu unterstützen. Die „Stuttgarter Zeitung“ meldete damals exklusiv, es sei „geplant, nicht abgerufene Gelder aus dem Fluthilfefonds für diesen Zweck einzusetzen“, zahlreiche Medien griffen die Meldung auf. Das war offenbar verfrüht: Schon am nächsten Tag verkündeten die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, dass sie den Vorschlag ablehnen. Das Vorhaben wurde also nie umgesetzt. Söders Vorgänger als bayerischer Ministerpräsident, der heutige Innenminister Horst Seehofer (CSU), wies es auch wegen einer möglichen politischen Instrumentalisierung zurück. „Er würde einem solchen Vorschlag ‚nie zustimmen’, weil dies von ‚rechten Dumpfbacken’ ausgenutzt werden könnte“, schrieb der Tagesspiegel.

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(mit dpa)
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