Konzept „Hotel auf Schienen“ Französisches Start-up setzt auf ein Comeback der Nachtzüge

Paris · Ein französisches Start-up plant rollende Hotels mit viel Komfort für die Zugreisenden. Die Gründer setzen bei ihrer Idee auf ein verändertes Umweltbewusstsein der Menschen.

 Wenn es nach einem französischen Start-up geht, wird es zukünftig neben den Hochgeschwindigkeitszügen in Frankreich und dem europäischen Ausland bald auch attraktive Nachtzugverbindungen geben.

Wenn es nach einem französischen Start-up geht, wird es zukünftig neben den Hochgeschwindigkeitszügen in Frankreich und dem europäischen Ausland bald auch attraktive Nachtzugverbindungen geben.

Foto: Bernd Weißbrod

Europas Nachtzüge schienen dem Tode geweiht. Die Schlafwagen wirkten wie behäbige Dinosaurier in einer sich immer schneller drehenden Urlaubswelt der Billigflüge. Nur noch aus den entlegenen Ecken Osteuropas drangen die bunt ausgeschmückten Legenden der Bahnromantiker über schier endlos ratternden Nachtfahrten in altersschwachen Abteilen, durch die der Geruch der kohlebetriebenen Samoware zieht.

Doch zwei Franzosen glauben an eine neue Zukunft der Nachtzüge. Adrien Aumont und Romain Payet haben das Start-up Midnight Trains gegründet und wollen die Idee ins 21. Jahrhundert katapultieren. Grundidee ist, dass das Unternehmen den Passagieren nicht nur eine Zugfahrt, sondern ein Reiseerlebnis bieten will. Geplant sind Hotels auf Schienen, beschreibt Adrien Aumont den Ansatz. Die Züge sollen befreit werden vom Mief der Vergangenheit, also keine engen Schlafpritschen mehr, unliebsame Bettnachbarn und schnarchende Mitreisende.

Die Abteile seien „private Zimmer in unterschiedlichen Größen, die von Einzelpersonen oder Paaren, Familien oder Freunden genutzt werden können“, verspricht der Gründer. Geboten werde der gesamte Service eines Hotels: Bettwäsche, Bad mit Dusche und Filme auf Abruf. Im Zugrestaurant stünden frische, saisonale Produkte auf der Speisekarte und es würden Craft-Biere und Weine kredenzt, die am Tisch, an der Bar oder im Abteil genossen werden können. Das verspricht zumindest der Werbetext auf der Homepage des Unternehmens. Auch das Interieur der Schlafwagen kann im Moment lediglich im Internet bestaunt werden.

Preise im Bereich von Mittelstreckenflügen

Die Beschreibung klingt wie Luxus auf Rädern, soll nach Angaben der Macher in Sachen Preis aber mit Mittelstreckenflügen mithalten können. Bei einer Reise mit dem Flugzeug müsse man immer auch die „versteckten Kosten“ einrechnen, unterstreichen die Gründer, wie etwa die Aufschläge für das Gepäck, den Transfer zum Flughafen – oder eben eine Hotelübernachtung, die mit dem Nachtzug gespart werde. Genauere Angaben zu den Ticketpreisen gibt es allerdings noch nicht. Eines wird allerdings deutlich: Zielgruppe des Angebots werden eher nicht Studenten mit knappem Budget sein.

Startpunkt für die Nachzüge von Midnight Trains wird Paris sein. Ende 2023 sollen die ersten Schlafwagen von der französischen Metropole aus sternförmig durch Europa rollen, verspricht Adrien Aumont. Interessant für das Start-up sind die Entfernungen zwischen 800 und 1500 Kilometer, die auch mit einem modernen Hochgeschwindigkeitszug nicht schnell zu überbrücken sind. Als mögliche Zielpunkte sind Städte wie Madrid, Barcelona, Florenz, Rom, Hamburg, Berlin, Kopenhagen und auch das schottische Edinburgh angepeilt.

Macher setzen auf steigendes Umweltbewusstsein der Menschen

Midnight Trains setzt bei seinem Angebot auch auf einen Mentalitätswechsel der Menschen. Angesichts der Diskussionen um das Klima, bei der in Deutschland das Wort „Flugscham“ kreiert wurde, betonen die Verantwortlichen immer wieder, dass die Nachtzüge eine klimafreundliche Alternative zum Fliegen seien. Auch sei das Reisen mit dem Zug wesentlich stressfreier und biete Urlaub von der ersten Minute an. Mit dieser Annahme stehen die Gründer nicht alleine, unterstützt werden sie von Beratern aus den Reihen von Eurostar, Accor und den europäischen Bahnbetreibern SNCF und Thalys. Einer der Geldgeber ist unter anderem der französische Internet-Milliardär Xavier Niel.

Auch bei der französischen Regierung stoßen die Gründer mit ihrem ambitionierten Projekt auf offene Ohren. „Es ist ein französisches Start-up. Und es macht Lust auf mehr“, jubelte Jean-Baptiste Djebbari, Staatssekretär im französischen Verkehrsministerium und glühender Verteidiger der Nachtzüge auf Twitter. Gleichzeitig beginnt die französische Regierung selbst, die Tradition der Nachtzüge wieder aufleben zu lassen. Viele Strecken schienen mit dem Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes, dem Einsatz von schnellen TGV-Zügen und den Billigflügen überflüssig geworden.

Inzwischen sind aber angesichts des Klimawandels Kurzstreckenflüge im Inland verboten worden. Im Frühjahr wurde als Folge daraus die einst eingestellte Nachtzugverbindung zwischen Paris und Nizza wiederaufgenommen. Der Staat nimmt dafür kräftig Geld in die Hand. Die Investitionssumme für zwei Nachtzuglinien beträgt rund 100 Millionen Euro. Mit an Bord der Jungfernfahrt zwischen Paris und Nizza Ende Mai war Frankreichs Premierminister Jean Castex, der die ersten Gäste in dem Zug persönlich über Bordlautsprecher begrüßte.

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