Lauterbach im Astrazeneca-Talk bei „Hart aber fair“ „Für diese eine Woche hätte ich das Risiko auf mich genommen“

Der vorübergehende Impfstopp für den Wirkstoff von Astrazeneca beschäftigt die Talkrunde bei Frank Plasberg. Statt zu streiten, bemühen sich die Talkgäste um Aufklärung.

 Die Talkrunde bei „Hart aber fair“ am 15.03.2021.

Die Talkrunde bei „Hart aber fair“ am 15.03.2021.

Foto: WDR

Eigentlich sollte es am Montag bei „Hart aber fair“ um die Aussichten nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gehen. Doch der vorübergehende Stopp für den Impfstoff von Astrazeneca warf den Sendeplan über den Haufen – und brachte mehr Zuschauerfragen in die Talkshow als üblich.

 Die Gäste:

  • Karl Lauterbach (SPD), Bundestagsabgeordneter und Epidemiologe
  • Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
  • Rangar Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist
  • Robin Alexander, Journalist

 Darum ging’s:

Um Aufklärung über Gesundheitsrisiken und die Frage, was mehr Vertrauensverlust auslöst: einen Impfstoff aus dem Verkehr zu ziehen, um eine Unklarheit zu beseitigen, oder ihn trotz dieser Unklarheit weiter zu verabreichen.

 Der Talkverlauf:

Aus der Meldung von der Aussetzung von Impfungen mit dem Vakzin von Astrazeneca ließe sich im typischen Talkshowformat ein prima Untergangsszenario heraufbeschwören. Aber gleich zu Anfang hat Karl Lauterbach eine gute Nachricht: Sollte es nach einer Impfung mit dem Astrazeneca-Wirkstoff zu Komplikationen kommen, lassen sich diese nicht nur behandeln, sondern auch gut erkennen.

 Das wird der Epidemiologe, Gesundheitsökonom und SPD-Politiker noch mehrmals in der Sendung erklären. Schließlich gibt es in dieser Talkrunde eine ganze Reihe an Fragen aus dem Publikum. „Achtet auf kleine Flecken auf der Haut und starke Kopfschmerzen“, rät Lauterbach für die erste Woche nach der Impfung, besonders die ersten vier Tage. Etwaige Beschwerden würden sehr bald nach der Impfung auftreten. Von Pickeln, die vor lauter Nervosität entstehen mögen, könne jeder Arzt die für Thrombozyten typischen Flecken unterscheiden.

Vor allem aber betont nicht nur Lauterbach, sondern auch der Rest der Talkrunde, wie gering das Risiko sei, überhaupt nach der Impfung gesundheitliche Probleme zu bekommen. Trotz des vorsichtshalber von Gesundheitsminister Jens Spahn verhängten Impfstopps für Astrazeneca würden sich alle vier Talkgäste mit dem Wirkstoff impfen lassen. „Sie können mich Tag und Nacht anrufen, ich bin in 15 Minuten da“, sagt der Journalist Robin Alexander.

Drei der Gäste stehen dennoch hinter der Entscheidung, die Impfungen auszusetzen, bis eine genaue Untersuchung beendet ist, ob eine Sinusvenenthrombose tatsächlich durch die Impfung verursacht wurde – und wenn, ob weitere Faktoren eine Rolle spielen oder nur bestimmte Bevölkerungsgruppen davon betroffen sind. „Wenn man das Risiko einschätzen kann, muss man darüber aufklären“, sagt Andreas Gassen. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung findet aber, diese Einschätzung sollte man der Ständigen Impfkommission überlassen – und solange eben abwarten.

Lauterbach hingegen würde das Risiko eingehen, bis zum Ergebnis dieser Untersuchung weiterzuimpfen. Der Nutzen überwiege das Risiko. Das hätte er auch als Gesundheitsminister so vertreten, sagt Lauterbach und argumentiert zudem mit dem „massiven Vertrauensverlust“ durch den Impfstopp. Lauterbach: „Wir sind in einer solchen Notlage, dass ich es bevorzugt hätte zu sagen: Wir lassen das untersuchen, impfen aber in dieser Zeit weiter.“ Lauterbach glaube, „dass man der Bevölkerung erklären kann: Hier gibt es eine Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts, und das ist das Risiko. Die Engländer haben die gleichen Daten und machen trotzdem weiter.“ Auch die Prüfung der Arzneitmittel-Agentur EMA hätte Gesundheitsminister Lauterbach nebenbei laufen gelassen: „Für diese eine Woche hätte ich das Risiko auf mich genommen.“

Einen Vertrauensverlust hätte Alexander hingegen in einer Entscheidung gegen den Impfstopp gewittert. Da sieht der Journalist im Blätterwald schon eine Schlagzeile dämmern: „Bundesregierung impft weiter, obwohl Wissenschaft davon abrät“.

Der Wissenschaftsjournalist Rangar Yogeshwar würde Lauterbachs Risikoabwägung folgen, sofern es sich um ein Medikament zur Behandlung und nicht um einen Impfstoff zur Vorbeugung handelte. Er sagt auch, dass man bei aller Diskussion um den Impfstoff auch nicht alles dramatisieren solle. „Wir reden hier über minimale Risiken“, so Yogeshwar. Zudem wendet er ein, dass der vorübergehende Stopp für Astrazeneca auch zeige, wie gewissenhaft in Deutschland nachkontrolliert werde. „Langfristig ist es der korrekte Schritt, denn die Impfung braucht Vertrauen“, sagt Yogeshwar. Er erinnert aber auch daran, dass die Impfung nicht das einzige Mittel ist, um die Pandemie einzudämmen. Tests und digitale Nachverfolgung würden auch helfen. „Da haben wir in Deutschland geschlafen“, so Yogeshwar.

Als das Gespräch sich nun diversen Versäumnissen zuwendet, beklagt Lauterbach: „Es wäre so leicht gewesen, Impfproduktionskapazitäten in den Monaten vor dem Impfstart aufzubauen.“ Nun sei es zu spät, um mit größeren Produktionsmengen anderer Impfstoffe ein etwaiges Ausfallen von Astrazeneca aufzufangen. Doch in Lauterbachs Augen sollte Europa daran trotzdem eifrig arbeiten, denn sonst stünde es bei einer erneuten Impfung vor dem gleichen Logistikproblem. Dass eine erneute Impfung auf dem Programm steht, bezweifelt Lauterbach nicht. Der Schutz gegen Sars-Cov2 reiche voraussichtlich nicht auf Lebenszeit, und Virusvarianten könnten eine Anpassung des Impfschutzes erfordern, so wie sie auch bei den Grippeimpfungen vorgenommen wird.

Am Ende kommt Moderator Frank Plasberg noch einmal auf konkrete Fragen zur Astrazeneca-Impfung zu sprechen. Für die besprochene Spezialform einer Thrombose gebe es keine vorbeugenden Maßnahmen, sagen Gassen und Lauterbach einvernehmlich. Aber wenn diese sich als seltene Komplikation bestätige, sei sie nach einer Impfung leicht zu erkennen und von Spezialisten zu behandeln. „Wir haben jetzt ein Jahr Corona, und das sind schlechte Zeiten für Hypochonder, das muss man schon sagen“, meint Gassen. Ihm ist es ein Anliegen, das „Koordinatensystem“ wieder gerade zurücken: „Es ist nicht Ebola“, erinnert der Arzt.

Dieser Text ist zuerst bei der Rheinischen Post erschienen.

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