Französischer Schriftsteller Gabriel Matzneff sieht Sex mit Kindern nicht als Verbrechen

Paris · Der französische Schriftsteller Gabriel Matzneff bedauert, dass er Sex mit Kindern hatte - fühlt sich aber zu Unrecht verfolgt. Vanessa Springora hat in ihrem Buch „Le Consentement“ den Missbrauch zuvor ausführlich geschildert.

Gabriel Matzneff ist sich keiner Schuld bewusst. Er habe doch kein Verbrechen begangen, unterstreicht der französische Schriftsteller. Allzu sicher scheint er sich allerdings nicht zu sein, denn ein ausführliches Gespräch mit dem Sender BMTV führte er jüngst im selbst gewählten italienischen Exil. Doch auch dort ist ihm die Polizei auf den Fersen, einige Beamte durchsuchten am Mittwoch sein Hotelzimmer.

Gleichzeitig waren in Frankreich die Ermittler in den Räumen des renommierten Verlages Gallimard zugange, der Matzneff verlegt hat. Sie hofften, dort unveröffentlichte Manuskripte mit weiteren Details zu finden, die den Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen und die Verherrlichung von Verbrechen erhärten können.

Im Grunde aber ist alles bereits sehr ausführlich von Vanessa Springora aufgeschrieben. Die 47-Jährige Verlagsleitern schildert in ihrem Buch „Le Consentement“ (Die Einwilligung), wie sie als 13-jährige Schülerin für den berühmten Schriftsteller schwärmte. Matzneff, damals 50 Jahre alt, habe sie verführt, schreibt sie. Er habe regelmäßig vor ihrer Schule auf sie gewartet, um dann in seiner Wohnung oder einem Hotel mit ihr zu schlafen. Zu spät sei ihr bewusst geworden, dass sie nur eines von vielen seiner Mädchen war: „Dieser Mann führte nichts Gutes im Schilde. In Wirklichkeit war er das, wovor wir als Kinder gewarnt werden: ein Unhold.“ Das Gelesene reichte der französischen Staatsanwaltschaft, Ermittlungen wegen Vergewaltigung einzuleiten.

Gabriel Matzneff sieht sich selbst als Opfer

Und Gabriel Matzneff? Der heute 83-Jährige sieht sich als Opfer. Springora wolle ihn zerstören und „als Perversen, Manipulator, Raubtier und Schuft“ darstellen. Dafür, was er den Kindern angetan hat, findet er in dem aktuellen Interview einige Worte des Bedauerns. Ein Erwachsener müsse „der Versuchung widerstehen“. Im selben Atemzug relativiert er allerdings seine Reue. „Ich muss sagen, dass damals keiner an das Gesetz gedacht hat.“ Man habe mit den Kindern unerlaubte Dinge getan, an denen sich vor 40 Jahren im Grunde keiner gestört habe.

Genau dies ist der Punkt, an dem Vanessa Springora in ihrem Buch ansetzt. Sie prangert die Verlogenheit der Gesellschaft an, dass der Kulturbetrieb über Jahrzehnte wusste, dass Gabriel Matzneff pädophil ist und seine Neigung schamlos auslebte – es damit sogar zu literarischem Ruhm gebracht hat. Gefeiert wurde er etwa für ein Essay mit dem Titel „Die unter 16-Jährigen“ aus dem Jahr 1974. Unerzwungene Liebe mit Teenagern sei etwas ganz Anderes als Vergewaltigung von Kindern, erklärte er freimütig und stieß damit kaum auf Widerspruch. Matzneff selbst beschrieb sich als „Philopäden“, der kleinen Jungen und Mädchen hilft, ihre eigene Welt zu entdecken.

Heute hingegen fühlt sich der einst gefeierte Schriftsteller nach eigenen Worten wie in der „Sowjetunion“, Künstler würden verfolgt und ihn selbst würde man am liebsten im „Gulag“ sehen. Damit spielt Matzneff auf die #metoo-Bewegung an, die jenen Frauen eine Stimme gegeben hat, die Opfer von sexueller Belästigungen und Gewalt geworden sind.

Roman Polanski kommt nicht zur César-Verleihung

In Frankreich sind immer wieder Stimmen zu hören, die vor einer Art Hexenjagd oder Zensur gegenüber Künstlern warnen. Für neuen Gesprächsstoff sorgt aktuell Roman Polanski, dessen neuer Film „J'accuse“ gleich zwölf Mal für den begehrten französischen César-Filmpreis nominiert worden ist, der am Freitag in Paris verliehen wird.

Bereits im November war es bei der Premiere des Werkes in der französischen Hauptstadt zu Protesten gekommen. Dem polnisch-französischen Regisseur wird vorgeworfen, im Jahr 1975 die damals 18 Jahre alte Valentine Monnier vergewaltigt zu haben – was dieser bestreitet. Polanski ist vor mehr als vier Jahrzehnten aus den USA geflohen, nachdem er sich dort schuldig bekannt hatte, 1977 Sex mit einer 13-Jährigen gehabt zu haben.

Im Strudel des Polanski-Skandales hat vor einigen Tagen nun auch die Führung der Akademie für den französischen Filmpreis ihren kollektiven Rücktritt angekündigt. Grund ist unter anderem der Streit um die Nominierung des Filmes „J'accuse“. Am Donnerstag schließlich teilte der 86-jährige Filmemacher mit, dass er wegen der Proteste nicht zur Verleihung des Preises erscheinen werde. Dieser Schritt wird in Paris mit einiger Erleichterung aufgenommen. Inzwischen stellen sich aber viele die wesentlich weitergehende Frage, die auch Vanessa Springora in ihrem Buch im Fall von Gabriel Matzneff formuliert: Warum bringt die Gesellschaft Künstlern so viel Toleranz entgegen

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