Joe Cocker Großbritanniens größte Rock- und Soulstimme: Reibeisen und Samt

Im Februar 2000 zog Joe Cocker eine Zwischenbilanz seiner bald 56 Jahre. "Es ist schon ein ziemlich ideales Leben, das ich habe", sagte der am 20. Mai 1944 in Sheffield geborene Sänger. "Ich habe gerade erst gelernt, E-Mail zu benutzen", bekannte er.

 Er sang wie ein Schwarzer aus Mississippi: Joe Cocker auf einem Foto aus dem Jahr 2011.

Er sang wie ein Schwarzer aus Mississippi: Joe Cocker auf einem Foto aus dem Jahr 2011.

Foto: dpa

"Das ist auch schon mein ganzer Kontakt mit der Computerrevolution. Ich habe ein bisschen Sorge, dass ich verloren gehe. Einfach nur überleben, das ist mein Traum."

Wie gestern bekannt wurde, ist Cocker in der Nacht auf Montag im Alter von 70 Jahren gestorben. Die "Yorkshire Post" berichtete, er habe an Lungenkrebs gelitten.

Das Magazin "Rolling Stone" attestierte Cocker einmal, er sei der lebende Beweis, dass man aus Sheffield kommen und trotzdem wie ein Schwarzer aus Mississippi singen kann. Er war ein großer Songinterpret, ein Magier, der in seinen Liedern eine Menge Gefühl transportierte, viel Flehentliches und Sehnsüchtiges.

Mit dem Leben und dem Popstar-Dasein kam er lange nicht so gut zurecht wie auf der Bühne. Der Sänger begann seine Karriere in englischen Kneipen, wo er für umgerechnet 50 Euro in der Woche das Publikum beglückte und dabei jeden Abend mehr als fünf Liter Bier abkippte. Sucht, Geldverschwendung, Absturz, Nervenzusammenbruch - kaum etwas blieb ihm erspart. Seine Triumphe feierte er mit der Musik, später fand er in Amerika mit seiner Frau Pam Baker auch ein solides Lebensfundament.

Mit der Beatles-Komposition "With A Little Help From My Friends" wurde Cocker berühmt, er war einer der Stars des Woodstock-Festivals 1969. Sechs Jahre später nahm er die Ballade "You Are So Beautiful" auf, es folgten "Up Where We Belong", "You Can Leave Your Hat On", "Love Lives On", "One Night Of Sin" und "When The Night Comes". Joe Cocker schrieb den Soundtrack für erfolgreiche Rendezvous.

Auf der Bühne war er immer eine Macht, ein Emotionsfabrikant ersten Ranges. 2010 war er rund 80 Konzertminuten zu Gast auf dem Museumsplatz in Bonn. Mit "Feelin' Alright" begann großes Kino, Cocker gab wie immer alles. Seine Gefühle zeigte er auf markante, sehr männliche Weise. Da blieb sich der Sänger über die Jahrzehnte treu, er stammte schließlich aus Yorkshire. Seine Stimme konnte beides, Reibeisen und Samt. Cocker wusste immer, was die Fans von ihm erwarten. Etwa das langgezogene "Aaaaaah" in dem Song "Shelter Me".

[kein Linktext vorhanden]Dazu traktierte der Saxofonist in Bonn sein Instrument im Klangstil der achtziger Jahre. Nicht nur in dieser Hinsicht hatte Cocker viel gemeinsam mit seiner Kollegin Tina Turner. Wie in ihrem Fall verschränkten sich auch bei ihm Musik und Mensch, Kunst und Biografie auf faszinierende Weise.

Momente aus Joe Cockers Leben
15 Bilder

Momente aus Joe Cockers Leben

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Für den kostbarsten Augenblick des Abends krempelte der Sänger sich die Ärmel hoch. An dem Beatles-Song "With A Little Help From My Friends", den er sich vollkommen zu eigen gemacht hatte, arbeitete er sich mit schweißtreibender Intensität ab. Dabei musste er stimmlich an seine Grenzen gehen.

Viel kam in diesem Moment zusammen: ein geniales Lied, Lebenserfahrung und eine einzigartige Soulstimme. Die Bühnenshow war das Gegenteil von stilistisch ambitioniert: Cocker stand einfach da und sang. Spielte ein bisschen Luftgitarre und spreizte die Finger. Mehrere Male hob er ab und sprang in die Luft. Das war's. Früher zappelte der füllige Leib, und die Arme ruderten meist charakteristisch im Leeren.

Dass er solche Auftritte im Alter von 66 Jahren noch erleben durfte, nahm das Publikum wie ein Wunder wahr. Für Cocker lagen die Nachrufe schon früh in den Schubladen der Musikjournalisten. Doch er gewann den Kampf gegen ein scheinbar vorgezeichnetes Schicksal. Und er hatte auch mit 70 noch etwas vor. Erst vor Kurzem hatte Cocker ein neues Album für das kommende Jahr angekündigt.

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