Hamburger Sturmflut von 1962: Ein Zeitzeuge erinnert sich

Hamburg · Der Winter 1961/62 war zunächst nicht ungewöhnlich. Bei meist trübem Wetter und Temperaturen zwischen dem Gefrierpunkt und zehn Grad plus trieb der Westwind Wolken von der Nordsee her über Norddeutschland.

Doch Mitte Februar braute sich über dem Nordatlantik einer der stärksten Orkane zusammen, den die Meteorologen in unseren Breiten je gemessen haben. Die darauf folgende Sturmflut sollte letztlich 315 Menschen das Leben kosten. Doch in der Unglücksnacht auf den 17. Februar 1962, einem Samstag, wusste zunächst niemand wirklich, was passierte.

"Bereits am Freitag, als wir mit der Kompanie nach Hamburg zurückfuhren, war ein unheimlicher Sturm", erinnert sich Horst Radatz, damals Unteroffizier bei den Panzergrenadieren in Hamburg-Fischbek, an seinen Rückweg von einer Übung. "Auf der Autobahn krochen wir mit unseren Lastwagen mit 40, 50 Stundenkilometern dahin", fügt der heute 77-Jährige hinzu.

Warnungen über eine schwere Flut, die am Abend bereits aus Emden und Cuxhaven eingingen, wurden nicht ernst genommen. "Heute haben wir unsere festen Alarmpläne und kennen auch die wenigen Schwachstellen, die in den Deichen vorhanden sind", sagt ein Feuerwehrsprecher über den Flutschutz 50 Jahre später. Damals allerdings war die Stadt mehr oder weniger kopflos.

50 Jahre Sturmflut
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Zwar rollten die Katastrophenpläne routiniert an. Jedoch wurde die Bevölkerung nicht gewarnt. Viele Hamburger gingen an diesem Freitagabend ganz normal zu Bett. Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Paul Nevermann befand sich zur Kur in Österreich, und sein Innensenator Helmut Schmidt (beide SPD) war auf der Rückfahrt von einer Innenministerkonferenz in West-Berlin, als die ersten Deiche brachen.

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" urteilte eine Woche später: "Hamburg verschlief die Sintflut." Zwar willigte der damalige Bausenator um 0.30 Uhr ein, telefonisch den Notstand auszurufen. Einen Grund, von seinem Bett aufzustehen, sah er aber nicht. Viele Deichanlagen, vor allem am südlichen Ufer der Elbe, waren in einem schlechten Zustand. Hinzu kam, dass seit dem Krieg viele Kleingartenanlagen im Deichbereich als ständige Wohnsitze genutzt wurden - Notbehelfe für die unzähligen bei Bombenangriffen zerstörten Wohnungen.

Und die Notfallplanung war weder auf die Höhe der Flut ausgelegt, noch sah sie die Evakuierung der flutgefährdeten Gebiete vor. Als die Wassermassen kurz nach Mitternacht die Deiche an 63 Stellen in Wilhelmsburg und entlang der Süderelbe brechen ließen, wussten weder Bürger noch Behörden vor Ort, wie ihnen geschah.

Lauben und Baracken, aber auch massive Häuser wurden von den Fluten weggespült. Das unter dem Wasserspiegel liegende Wilhelmsburg lief voll wie eine Wanne. Mehr als 200 Menschen fanden allein dort in der Nacht den Tod. Viele ertranken in der eigenen Wohnung. Radatz war in seinem Stützpunkt auf sich allein gestellt.

"Da noch kein Offizier in der Kaserne war, habe ich mir kurzerhand selbst einen Einsatzbefehl gegeben und bin mit meinem Fahrschul-Lkw erst einmal nach Wilhelmsburg gefahren, um zu schauen was da wirklich los war", erinnert er sich. "Da kamen dann unablässig Bundeswehreinheiten, vor allem Pioniere und auch ausländisches Militär - vor allem Engländer." Den ganzen Tag verbrachte Unteroffizier Radatz damit, Wasserkanister an die Menschen auszuteilen.

"Als ich in die Kaserne zurückkam, war mein Chef inzwischen da. Er war froh, mich zu sehen, denn er hatte mich schon auf die Vermisstenliste gesetzt." Erst am Samstagmorgen wurde das Ausmaß der Zerstörung deutlich. Innensenator Schmidt hatte inzwischen einen Katastrophenstab gebildet und versuchte, vom Hamburger Rathaus aus die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Neben den Hunderten Toten waren Zehntausende obdachlos und auch die Versorgungsleitungen großflächig zerstört worden.

"Es herrschte vor Ort wirklich das absolute Chaos", erinnert sich der ehemalige Panzergrenadier Radatz. "Ich war damals über 60 Stunden mit kaum Schlaf im Einsatz." Nach zeitgenössischen Medienberichten kein Einzelfall, denn die Hilfsmaschinerie musste erst mühevoll in Gang gesetzt werden.

Über das Wochenende hinweg wurde schließlich eine Heerschar von Fluthelfern organisiert, um dem Notstand abzuhelfen. "Allein die Bundeswehr war mit elf Bataillonen, 90 Hubschraubern und 142 Sturmbooten im Einsatz", zählt der Kommandeur des Hamburger Landeskommandos, Kapitän Klaus Beyer, auf. Neben diesen 8000 Bundeswehrsoldaten leisteten auch 4000 Soldaten der Alliierten, 2000 Mann vom Technischen Hilfswerk sowie etwa 5000 andere Kräfte in Hamburg Fluthilfe.

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