Größere Flutkatastrophe droht „Harvey“ verwüstet Houston

Washington · Die Auswirkungen von Tropensturm „Harvey“ sind verheerend. Weite Teile von Südtexas kämpfen mit massiven Überflutungen, es droht eine noch größere Flutkatastrophe.

Das erste Wort, das auf dem Mond gesprochen wurde, war „Houston“. Neil Armstrong sprach es nach erfolgreicher Landung am 20. Juli 1969. Die Bodenstation der Weltraumagentur Nasa, die in der texanischen Metropole ihre Heimat hat, jubelte. Ein Jahr später machte die viertgrößte Stadt der USA erneut Schlagzeilen. Der Hilferuf der nur als Rettungsaktion gelungenen „Apollo 13“-Mission wurde zum geflügelten Wort: „Houston, wir haben ein Problem.“ Heute ist alles anders. Heute hat Houston ein Problem.

Der Stadt, die durch Wirbelsturm „Harvey“ im Zentrum einer der größten Naturkatastrophen der vergangenen 50 Jahre in den USA liegt, steht das Wasser bis zum Hals. Nie dagewesene Niederschläge von 70 Zentimetern und mehr auf den Quadratmeter haben seit Freitagabend weite Teile des 1836 von zwei New Yorker Grundstücksspekulanten auf Sumpfland gegründeten Wirtschaftsmotors in eine braun-grüne Seenlandschaft verwandelt. Das öffentliche Leben ist zum Erliegen gekommen. Die Ölindustrie stockt. Flug- und Seehäfen sind geschlossen, viele Straßen nur noch mit Booten befahrbar. Vereinzelt kämpfen sich Menschen zu Fuß durch die Katastrophe, bis zum Schlüsselbein im schmutzigen Nass.

Tausenden droht die Zwangsevakuierung

Tropensturm „Harvey“
4 Bilder

Tropensturm „Harvey“

4 Bilder

Polizeichef Art Acevedo berichtet von mehr als 60 000 Notrufen – Tendenz steigend. Viele Bewohner haben sich auf die Dächer ihrer Häuser geflüchtet. Rettungshubschrauber sind im Dauereinsatz. Hilfsdienste und Freiwillige holen immer wieder Alte und Kranke aus ihren Häusern. Schlauchboote, Kanus, Jetskis, Luftmatratzen und Surfbretter dienen als Transportmittel. Ein Krankenhaus musste geräumt werden. Die lokalen Sicherheitskräfte sind durch Staatspolizei und Nationalgarde verstärkt.

Zehntausende Einwohner stehen vor der Zwangsevakuierung. Für 30 000 Menschen sollen Notlager eingerichtet werden; bis hin ins 350 Kilometer nördlich gelegene Dallas. Bürgermeister Sylvester Turner hofft auf einen geordneten Rückzug. Im Großraum Houston sind rund 6,5 Millionen Menschen potenziell betroffen. Als Hurrikan „Rita“ vor zwölf Jahren wütete, kam es zu tragischen Szenen, als Hunderttausende in Panik gleichzeitig gen Norden zu fliehen versuchten.

Nachbarstaaten helfen Texas

Weil „Harvey“ unablässig Wasser ablässt, warnen der Nationale Wetterdienst und die Katastrophenschutzbehörde Fema im Stundentakt, dass es in den nächsten Tagen „noch schlimmer wird“. Der Starkregen, der das Gebiet zwischen San Antonio und New Orleans im Nachbarbundesstaat Louisiana überzieht (knapp 900 Kilometer), bleibt voraussichtlich bis Samstag. „Epochal, unvergleichlich, kein Adjektiv wird dem gerecht, was hier geschieht“, sagte Fema-Chef Brock Long, „das ist ein Jahrhundertereignis.“ Um der Wassermassen halbwegs Herr zu werden, wurden am Montag vor Houston die ersten Flutbecken geöffnet, um eine kontrollierte Überflutung von Stadtteile zu ermöglichen.

Obwohl das Ausmaß der Naturkatastrophe noch gar nicht zu übersehen ist, ziehen Experten bereits Vergleiche zu „Katrina“. Der Hurrikan hatte 2005 in Louisiana und Mississippi Schäden von weit über 15 Milliarden Dollar verursacht. Manche Stadtteile in New Orleans haben sich bis heute nicht davon erholt. Damals bot das George R. Brown-Kongress-Zentrum in Houston heimatlos gewordenen Menschen aus „Big Easy“ Unterschlupf an. Diesmal ist es umgekehrt. Bürgermeister Mitch Landrieu: „Wir helfen unseren Freunden in Texas, wo immer wir können.“

Ein schwerer Besuch für Trump

Und was tut Washington? Die Antwort fliegt am Dienstag in Gestalt von Donald Trump ein. Der Präsident will sich vor Ort ein Bild machen. Solange das nicht die Rettungsarbeiten behindert. Für Trump, der sich noch nie als Krisenmanager im Innern beweisen musste, ist der Besuch heikel. Seine teils themenfremden Twitter-Kommentare am Sonntag (er bewarb unter anderem das neue Buch eines für Menschenrechtsverletzungen bekannten Sheriffs) ließen nach Ansicht von US-Kommentatoren Empathie für die Menschen vermissen, „die über Nacht alles verloren haben“. Die Messlatte für Trump in Texas liegt hoch. Seelentrost zu spenden und glaubhaft mit Finanzmitteln Beistand zu leisten, das gelang zuletzt niemandem so gut wie Barack Obama und Gattin Michelle vor fünf Jahren an der Küste von New Jersey. Damals trug der Hurrikan den Namen „Sandy“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort