Münchner Haus der Kunst Im Labyrinth der Schmerzen

Das Thema Schmerz ist mein Geschäft", hat Louise Bourgeois (1911- 2010) einmal gesagt. Und man spürt die Qual in allen zwölf Räumen der Schau "Strukturen des Daseins: Die Zellen" im Münchner Haus der Kunst.

 Huldigung an die Mutter: Louise Bourgeois' Installation "Spider" entstand 1997.

Huldigung an die Mutter: Louise Bourgeois' Installation "Spider" entstand 1997.

Foto: DELPECH/THE EASTON FOUNDATION/VG BILD-KUNST

Wendeltreppen enden im Nichts, vor dem penibel nachmodellierten Elternhaus hängt eine Guillotine, und aus Marmorblöcken wachsen Ohren, Unterschenkel oder sauber amputierte Arme.

Willkommen im höchst physischen Seelentheater der gebürtigen Pariserin, einem Grand Guignol der Ängste, aber auch Sehnsüchte. Louise Bourgeois ist gewiss die einflussreichste Spätstarterin der Kunstgeschichte: Ihre erste Einzellausstellung erlebte sie erst mit Mitte 50, und als 80-Jährige begann sie mit jenen spektakulären "Cells", die hier als Schockräume, Gruselkabinette oder Meditationskammern faszinieren.

Man hat mittlerweile gelernt, die Zeichen der großen Schwierigen zu entziffern: die Spinne als Symbol der nährenden, schützenden Mutter etwa, und auch die Tapisserien, die diese einst restaurierte, sind in die raumfüllende Installation "Spider" eingewoben. Der negative Pol ist der Vater: ein tyrannischer Schürzenjäger, dem in Raum 4 mit kannibalischem Furor ein blutiges Ende bereitet wird.

Findet dieses Schlachtfest gewissermaßen auf offener Breitwandbühne hinter Glas statt, so sind andere Zellen von Gerichts-, Gefängnis- oder schlichten Haustüren so hermetisch umschlossen, dass manchmal schmale Spalte nur einen Voyeursblick erlauben. Zwischen derart beklemmender Enge und überwältigender Offenheit atmet die spektakuläre Schau. Schon von Ferne locken große Drahtkäfige wie "Passage dangereux" als Schnelldurchlauf durch die Kindheit und das Erwachen der bedrohlichen Sexualität.

Auch "Red Room" lässt sich als private Trauma-Therapie deuten, wenn hier zwei kleine rote Hände auf denen der Erwachsenen liegen und die blutrote Zelle mit Garnspindeln und anderen Kindheitsobjekten möbliert ist. Spiegel, Glasflakons, Stühle in allen Größen gehören zum unentbehrlichen Inventar dieser Erinnerungsbezirke. "Der Spiegel war ein Feind", erinnerte sich die spätere New Yorkerin, die sich und ihr Abbild lange nicht ertrug.

Doch selbst wer diese Zusammenhänge nicht kennt, kann sich dem suggestiven Sog der Zellen nicht entziehen: ein winziger, leerer Kinderstuhl vor einem Spiegel, darüber in die Holzwand gebohrte Pfeile - so sieht etwa eine Höllenvision der Schmerzspezialistin aus.

Doch in diesem Horrorlabyrinth leidet nicht nur die kleine Louise. "In and out" zeigt einen Männertorso, der in die "Hysterie-Brücke" gekrümmt ist, Fleischwölfe im Maschendraht und ein rosafarbener Organklumpen außerhalb der Zelle legen Folter statt Verzückung nahe.

Nicht immer war die Künstlerin derart schonungslos: Zelle 15 lässt auf einem Wasserberg zwei Quellen entspringen, die sich über türkisfarbene Rinnen vereinigen und so Louise Bourgeois' Angst vor Einsamkeit und Verlassenwerden bannen. Manchmal müssen auch die inneren Dämonen schlafen.

Und "The Last Climb", eine luftige, von blauen Kugeln flankierte Wendeltreppe, führt wohl in eine bessere Welt.

Haus der Kunst, Bis 2. 8., Mo-So 10-20, Do bis 22 Uhr. Prinzregentenstraße 1, München. Weitere Informationen im Internet unter www.hausderkunst.de

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