Lauterbach und Streeck bei „Illner“ „Das ist keine Majestätsbeleidigung“

Düsseldorf · Bei „Maybrit Illner“ greift der Virologe Hendrik Streeck den Gesundheitsexperten Karl Lauterbach scharf an. Eine gute Erinnerung, dass Talkshows nicht der Aufklärung, sondern der Unterhaltung dienen.

 Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 8.7.2021.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 8.7.2021.

Foto: ZDF/Jule Roehr

Am Donnerstagabend ging es bei „Maybrit Illner“ um das Thema „Zurück ins Leben – mehr Freiheit, weniger Vorsicht?“.

Die Gäste:

  • Hendrik Streeck, Virologe
  • Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte
  • Karl-Josef Laumann (CDU), NRW-Gesundheitsminister
  • Christina Berndt, Wissenschaftsjournalistin
  • Anna Schneider, Journalistin

Darum ging’s:

Um den Pandemieverlauf.

Darum ging’s wirklich:

Um den Versuch, einen publikumsträchtigen Streit zwischen Lauterbach und Streeck zu provozieren.

Der Talkverlauf:

Zu Beginn fasst Moderatorin Maybrit Illner die aktuelle Corona-Diskussion zusammen: Auf der einen Seite stehen Lockerungen, auf der anderen Warnungen – und das verunsichere die Menschen. Das lässt hoffen, dass die Sendung nun die Argumente sortieren und für Durchblick sorgen will. Doch die Kameraführung enthüllt gleich zu Beginn: Im Fokus steht nicht Sachinformation, sondern Drama. Auch wenn Sachinformationen durchaus willkommen sind.

Zunächst darf Karl Lauterbach darlegen, warum er der Ansicht ist, dass ein so gennanntes Impfangebot an jeden Erwachsenen in Deutschland bis Mitte oder Ende August utopisch ist – allein der Impfstoff reiche dafür nicht. Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bekommt Raum, um zu erklären, welche Regelungen und Öffnungen in NRW künftig gelten.

Der Virologe Hendrik Streeck, der im Corona-Expertenrat des Landes sitzt, lobt dies als „Experiment“. Kostenpflichtiger Inhalt „Wir müssen ja ausprobieren, welche Maßnahmen funktionieren“, sagt Streeck. Zuvor hatte er betont, die bisherigen Maßnahmen würden auch gegen die Delta-Variante wirken. Dann verwickeln sich Streeck und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in ein Scharmützel über Prozentzahlen einer Studie zur Wirksamkeit von Impfstoffen. Schon zuvor war auffällig: Wann auch immer einer von beiden spricht, nimmt die Kamera oft den Gesichtsausdruck des anderen ins Visier.

Schlichten kann schließlich die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt. Umgehend kommt sie auf die Öffnungspolitik in NRW zurück. „Das erinnert mich alles an Anfang März, als auch NRW vorpreschte“, sagt sie. Da seien die Öffnungen dann schnell wieder zurückgenommen worden. Sie empfiehlt, Öffnungen so weit hinauszuzögern, bis genügend Menschen geimpft seien.

Nun springt Laumann in die Bresche für die Strategie, einstweilen auf Tests zu setzen. Er berichtet, der Anteil der positiven Ergebnisse sei derzeit zwar sehr niedrig, aber über alle Bürgertests in NRW seien etwa 100.000 Infektionen gefunden worden. „Und ich behaupte, dass die fast alle nicht geglaubt haben, dass sie infiziert sind.“

Karl Lauterbach findet allerdings, die Öffnung sende ein falsches Signal, etwa an junge Leute – als sei die Pandemie vorbei. „Wenn man das noch retten will, müssen wir den Impfstoff dorthin bringen, wo wir diese Leute treffen.“ Lauterbach plädiert für kreative und unbürokratische Angebote für Schutzimpfungen, etwa in Ausgehmeilen und Shisha-Bars. Nun kritisiert die Journalistin Anna Schneider, wieso das nicht längst gemacht werde. Doch da unterbricht Laumann höflich: „Ich hatte dafür letzte Woche nicht einmal den Impfstoff.“

Recht unvermittelt greift Hendrik Streeck kurz darauf Karl Lauterbach mit einer ganzen Reihe an Vorwürfen an. Lauterbach attackiere die Ständige Impfkommission (Stiko), die Streeck selbst sehr schätze, und damit trage Lauterbach zur Spaltung in der Gesellschaft bei. Er mache „brutale Aussagen“ aus differenzierten Aussagen von Laumann, rede im „Wahlkampfstil“, und: „Ich finde es auch höchst unanständig, wie Sie mir unterstellen, dass ich den Lockdown überflüssig finde.“

Lauterbach nimmt sich die Punkte einzeln und ruhig vor. Laumann gegenüber habe er darauf hingewiesen, die Öffnung sei ein falsches Signal, weil damit die Sorge einherginge, die Impfquote ginge zurück. Das würde Laumann sicher nicht als Angriff empfinden. Er habe auch nicht die Stiko angegriffen, sondern versucht, wissenschaftlich herzuleiten, warum er mit den Inhalten der Entscheidung nicht zufrieden sei. „Das ist keine Majestätsbeleidigung“, sagt Lauterbach. „Wo mir etwas bei der Stiko gefällt, lobe ich das, und wo nicht, kritisiere ich das – in der Sache. Und so mache ich das auch mit Ihnen.“ In der Forderung oder Ablehnung des Lockdowns sei er anderer Meinung gewesen als Streeck, aber dass jener die Saisonalität von Sars-Viren früh erkannte, habe er gelobt. Dabei versuche er, „sehr eng am Inhalt zu segeln“, sagt Lauterbach. Persönlich werde er grundsätzlich nie.

Mit seiner Kritik an der Lockdown-Geschichte ruft Streeck auch Illner auf den Plan. Sie erinnert sich vor allem daran, dass Streeck seine Meinung zwei Wochen nach einer Sendung im letzten Herbst geändert zu haben schien, als es um den später so getauften November-Lockdown ging. Doch Streeck legt dar, dass er in ihrer Sendung zwar eher für Gebote als für Verbote eingetreten sei, aber einen Lockdown nicht explizit abgelehnt habe. Das widerlegt Berndt allerdings direkt. Ihrer Zeitung gegenüber habe Streeck durchaus gesagt, dieser Lockdown käme zu früh. „Als die Inzidenzen dramatisch stiegen, haben Sie in Ihrem Positionspapier gefordert, nur die Risikogruppen zu schützen, was im Konsens vieler Wissenschaftler so nicht möglich ist“, sagt sie. Damit, so Berndt, habe Streeck zu einer Spaltung beigetragen.

Nun langt die Talkrunde da an, wohin die Kameras schon die ganze Zeit zielen: beim Theater um zwei vermeintliche Gegenspieler. „Ich glaube, dass das auch ein Problem der medialen Darstellung war“, sagt Berndt. So seien etwa Hendrik Streeck und Christian Drosten schon im vergangenen Jahr aufgebaut worden, als gäbe es nur diese zwei Möglichkeiten, auf die Pandemie zu schauen. Das habe den Eindruck einer Gegnerschaft erweckt, obwohl es in vielen Punkten einen weitgehenden Konsens in der Gruppe der Experten mit dem meisten Fachwissen gegeben habe. Berndt sagt nicht dazu, dass Streeck zwar Virologe ist, seine Expertise aber im Bereich HIV liegt und nicht im Bereich der Coronaviren. „Wenn die Wissenschaft eine klare Sprache spricht, ist es nicht richtig, eine Minderheitenmeinung genauso stark zu werten“, sagt Berndt.

Ob dieser Sog der Gegenspieler bis in die Sendung reicht, in der er selbst ein Thema geworden ist? Am Ende fragt Illner erst Streeck, wo er geirrt habe. Der stört sich aber schon an der Frage. „Es geht doch gar nicht darum, wer liegt richtig und wer liegt falsch“, sagt Streeck. Dann will Illner von Lauterbach wissen, wo Streeck seine größten Fehler gemacht hat und wo er selbst dies tat. Doch Lauterbach lässt sich nicht darauf ein, Streeck vorzuführen. Er besinnt sich auf sich selbst. „Wo ich definitiv falsch lag, war beim Fußball“, sagt er.

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