Afghanistan Keine Hoffnung auf Überlebende des Lawinenunglücks

ISLAMABAD · Ein paar Leute stochern immer noch in dem Schlamm herum, der am Freitag das kleine Dorf Ab-e-Barik unter sich begraben hat. "Ich suche nach meiner Frau und unseren vier Kindern", sagt der 50-jährige Pir Qul, "ich weiß, es gibt keine Hoffnung mehr unter den vielen Tonnen von Schlamm.

 Tödlicher Schlamm: Das Dorf Ab-e-Barik wurde in Teilen von der Lawine verschüttet. Die Behörden erklärten das verwüstete Terrain zum Massengrab.

Tödlicher Schlamm: Das Dorf Ab-e-Barik wurde in Teilen von der Lawine verschüttet. Die Behörden erklärten das verwüstete Terrain zum Massengrab.

Foto: DPA

Aber eine Stimme befiehlt mir, weiterzusuchen." Er steht auf der Schlamm- und Geröllwüste, unter der sein Heimatdorf bis zu 50 Meter tief begraben ist. Ab und an schweift der Blick des Mannes auf den Berg, aus dessen Flanke die Erdmassen herausbrachen. Die Mitglieder der 700 Familien, die nicht verschüttet wurden, fürchten, dass der Berg noch einmal in Teilen abrutschen könnte.

Bis zu 2500 Menschen, darunter eine komplette Hochzeitsgesellschaft, starben bei der Katastrophe in dem nahe der Grenze zu Tadschikistan gelegenen kleinen Dorf in der entlegenen afghanischen Provinz Badachschan. Die Behörden haben längst alle Versuche aufgegeben, in dem zähen Schlick nach Überlebenden zu suchen. "Es ist fast unmöglich, in dem Schlamm zu suchen. Selbst moderne Maschinen sind nutzlos", sagt Ahmad Bedar, der stellvertretende Gouverneur von Badachschan.

Rund neun Monate, bevor Ende Dezember die letzten ausländischen Kampftruppen Afghanistan verlassen, sehen sich westliche Länder angesichts der Katastrophe vor einer unerwarteten Bewährungsprobe. Immer wieder versicherten Vertreter von Nato-Mitgliedstaaten den Afghanen in der jüngeren Vergangenheit, man werde das Land am Hindukusch auch nach dem übereilten Abzug der Truppen nicht alleine lassen.

Seit dem Desaster in Badachschan, in dem auch die unzugänglichen Pamir-Berge liegen, hagelt es nun tatsächlich Hilfsversprechen. Aber die Unterstützung für die Überlebenden von Ab-e-Barik hängt nicht nur vom politischen Willen ab. Die entlegene Provinz zwischen China, Pakistan und Tadschikistan, in der die Bundeswehr bereits vor mehr als einem Jahr ihren einzigen Vorposten schloss, leidet immer noch an einer nahezu steinzeitlichen Infrastruktur.

Der Regen der vergangenen Tage, der auch den Erdrutsch auslöste, verwandelte viele der wenigen befahrbaren Feldwege des Gebiets in kaum bezwingbare Schlammpisten. Die Umgebung ist so abgelegen, dass die Wege normalerweise nur von den Bewohnern, vereinzelten Gruppen radikalislamischer Talibanmilizen und vor allem Drogenschmugglern genutzt werden. Aus dem in Badachschan angebauten Mohn wird eine der weltweit wirksamsten Opiumvarianten gewonnen.

Die gegenwärtig noch rund 30 000 Mann starken internationalen Militärkräfte unternahmen seit 2001 nie einen ernsthaften Versuch, den Drogenanbau in Afghanistan zu unterbinden. Ab-e-Barik fiel einem Phänomen zum Opfer, das in Südasien zunehmend häufiger vorkommt. "Es hat während der vergangenen Jahre deutlich mehr Erdrutsche in der Region gegeben", sagt der Katastrophenexperte Mriganka Ghattak von der "Südasiatischen Vereinigung für Regionale Kooperation" (SAARC) in der indischen Hauptstadt Delhi, "sie konzentrieren sich vor allem in der Hindukusch- und Himalaya-Region von Afghanistan bis nach Bangladesch.

Experten machen neben dem Klimawandel mit seinen vermehrten Sturzregen vor allem verstärkte Landwirtschaft, Straßenbau und die Vergrößerung von Ortschaften verantwortlich. Im Fall von Ab-e-Barik dürfte zudem die Abholzung der Berghänge eine wichtige Rolle gespielt haben. Denn der Bedarf an Brennholz nahm während der vergangenen Jahre zu, weil die Preise für Öl und Gas heftig gestiegen sind.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort