Animal Hoarding Krankhaftes Tieresammeln in Deutschland nimmt zu

KÖLN · Der Deutsche Tierschutzbund hat mit 59 Fällen im vergangenen Jahr die bislang höchste Zahl von sogenannten Animal-Hoarding-Ereignissen dokumentiert. Betroffen waren insgesamt 3888 Tiere. In Köln wurden kürzlich 48 Katzen aus einem kleinen Apartment geholt.

Symbolfoto.

Symbolfoto.

Foto: LAYER, W./ARCO IMAGES

Mit einem verzweifelten Hilferuf hat sich eine Frau vor kurzem an das Tierheim in Köln-Dellbrück gewandt. „Sie wusste nicht mehr, wohin mit ihren Katzen“, sagt Mitarbeiterin Sylvia Hemmerling. 48 verängstigte Perser, Britisch-Kurzhaar und Kreuzungen der beiden Rassen holte das Team aus dem kleinen Apartment, in dem die Tiere weitgehend sich selbst überlassen waren. Die Zahl solcher Fälle von Animal Hoarding, also der krankhaften Sucht, Tiere zu sammeln, steigt laut einer Auswertung des Deutschen Tierschutzbundes. In 2018 wurden bundesweit 59 Fälle dokumentiert, die bislang höchste Zahl – im Vorjahr waren es noch 34. Allein im vergangenen Jahr wurden 3888 Tiere gehortet, teils unter prekären Umständen. „Dabei müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“, erklärt Hester Pommerening vom Tierschutzbund.

Seit 2012 dokumentiert der Verband die bekannt gewordenen Animal-Hoarding-Fälle und wertet sie aus. Demnach waren bislang insgesamt mehr als 18.700 Tiere betroffen. Statistisch gesehen handelt es sich dabei meist um Katzen (50,8 Prozent) und Hunde (45,2 Prozent), weil diese auch zu den am häufigsten gehaltenen Haustieren gehören. Durchschnittlich werden 105 Tiere gehortet, in 2018 waren es im Schnitt 67 Tiere pro Fall. Allerdings kommt es dabei sehr auf die Art an – in zwei Fällen, wo es um kleine Nager wie Mäuse beziehungsweise Ziervögel ging, zählten die Helfer mehr als 400 Exemplare. In 60 Prozent der Fälle sind die Tiere krank oder weisen Verhaltensauffälligkeiten auf, meist ist der Platz nicht ausreichend, es gibt zu wenig Futter und die Hygiene ist mangelhaft. „Obwohl unsere Auswertung zeigt, wie relevant die Problematik hierzulande ist, ist das Phänomen Animal Hoarding leider bisher wenig bekannt“, sagt Moira Gerlach, Fachreferentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund.

Animal Hoarding kein eigenständiges Krankheitsbild

Betroffen sind deutlich mehr Frauen als Männer, rund 45 Prozent leben allein. Hintergrund für das unkontrollierte Tieresammeln ist in der Regel eine psychische Störung, beispielsweise eine Depression oder eine Zwangsneurose. Häufig wenden sich die Animal Hoarder im Laufe ihrer Krankheitsgeschichte vom Menschen ab und suchen Trost beim Tier – bis dieses selbst zum Opfer wird. Ein eigenständiges Krankheitsbild ist das Animal Hoarding hierzulande nicht, erklärt Pommerening, wird aber in den USA als Zwangsstörung klassifiziert. Ein Merkmal ist etwa die Unfähigkeit, minimale Hygiene- und Pflegestandards der Tiere einzuhalten.

Viele Vierbeiner werden tot gefunden oder sind in einem so schlechten Zustand, dass ein Veterinär sie einschläfern muss. Laut Tierschutzbund sind die Sammler behandlungsbedürftig und brauchen eine professionelle Therapie – dies beruhe aber auf Freiwilligkeit und werde oft nicht in Anspruch genommen. Untersuchungen würden zeigen, dass die Betroffenen dazu neigen, in alte Verhaltensmuster zu verfallen und beginnen, erneut Tiere zu sammeln. Auch die Frau aus Köln war bereits einmal auffällig: Vor einigen Jahren wurden ebenfalls rund 50 Katzen bei ihr sichergestellt.

„Das ist ein enormer Pflegeaufwand“

Leidtragende neben den Kreaturen sind auch die Heime. Jedes dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossene Institut muss im Jahr durchschnittlich fünf Mal Vierbeiner aus Animal-Hoarding-Fällen übernehmen. Die Kommunen erstatten die entstandenen Kosten häufig nur unzureichend, beklagt Caterina Mülhausen vom Tierschutzbund. Im Kölner Fall müssen nicht nur alle Katzen untergebracht, sondern auch geimpft und kastriert werden. „Das ist ein enormer Pflegeaufwand“, sagt Hemmerling.

Rund acht Euro fallen pro Tag für einen Hund an, rechnet der Tierschutzbund vor, dazu addieren sich Arzthonorare – in einem Beispielfall, bei dem 43 Hunde 138 Tage im Heim untergebracht werden mussten, kamen so mehr als 65.000 Euro zusammen. „Heime helfen, aber gerade in solchen Fällen sind sie selbst auf Hilfe angewiesen“, sagt Mülhausen. „Die Behörden beschlagnahmen die Tiere, aber es sind die Heimmitarbeiter, die diese aufnehmen und ärztlich versorgen.“ Weil die Katzen oder Hunde oft verhaltensauffällig oder scheu sind, hapert es in der Regel auch mit einer schnellen Weitervermittlung. Für die Behörden seien die Fälle aber abgeschlossen, wenn die Tiere aus den Händen der Sammler entfernt sind.

Die Tierschützer fordern daher ein Zentralregister, in dem Informationen über auffällige Halter gesammelt werden und auf das Veterinärämter zugreifen können. „So lässt sich auch bei einem Umzug in einen a nderen Zuständigkeitsbereich feststellen, ob etwa ein Tierhalteverbot ausgesprochen wurde“, sagt Pommerening. Viele Animal Hoarder würden einfach auf andere Tierarten ausweichen. Außerdem müsse das Krankheitsbild endlich offiziell anerkannt werden, um mehr Therapiemöglichkeiten zu schaffen, lautet eine weitere Forderung, zudem benötigten die Tierheime unbürokratische Unterstützung von den Behörden. Im Kölner Fall besteht zumindest Hoffnung, dass die Geschichte ein gutes Ende nimmt. Denn Perserkatzen sind hübsch und beliebt, es gebe schon viele Anfragen, Exemplare aufzunehmen, sagt Hemmerling. „Mit etwas Glück dauert es nicht lange, bis die meisten von ihnen ein neues Zuhause haben.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort