Kriminalität So viele Automatensprengungen in NRW wie nie zuvor

Düsseldorf · In diesem Jahr werden so viele Geldautomaten-Sprengungen wie nie zuvor erwartet – und das neuerdings mit Sprengstoff. Die Täter kommen oft aus den Niederlanden.

 Duisburg: Mehrere Maskierte sprengten kürzlich diesen Geldautomaten samt dazugehörigem Glas-Pavillon.

Duisburg: Mehrere Maskierte sprengten kürzlich diesen Geldautomaten samt dazugehörigem Glas-Pavillon.

Foto: dpa/Christoph Reichwein

Es ist 3.44 Uhr am frühen Dienstagmorgen, als Anwohner der Eggerscheidter Straße in Ratingen durch einen lauten Knall wach werden. Der Geldautomat der Commerzbank ist gesprengt worden. Teile der Fassade und zerborstene Fensterscheiben sind bis auf die andere Straßenseite geschleudert worden. Anwohner sehen noch zwei Männer, die aus der Bankfiliale kommen und in einen dunklen Audi-Kombi steigen, in dem ein weiterer Mann hinterm Steuer sitzt. Mit hoher Geschwindigkeit rast der Wagen davon – in Richtung Auffahrt zur A3.

Es ist die bereits 98. Sprengung eines Geldautomaten in Nordrhein-Westfalen 2020. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr gab es landesweit 104 Fälle, 2018 waren es 108. „Die Entwicklung ist besorgniserregend“, sagt Thomas Jungbluth, Chefermittler des Landeskriminalamtes und kommissarischer Leiter der Behörde.

Die Täter kommen meist aus Amsterdam und Utrecht

Die meisten Taten werden Jungbluth zufolge von Männern verübt, die aus den Niederlanden kommen, vorwiegend aus den Großräumen Utrecht und Amsterdam, meist mit marokkanischem Hintergrund. Das LKA ist überzeugt: 80 bis 85 Prozent der Taten werden von ihnen verübt „Die niederländische Polizei spricht von 300 bis 500 Personen, die sie der ,Sprengerszene’ zurechnen. Sie werden in unterschiedlichsten Konstellationen tätig.“ Ob das Clanstrukturen, wie bei libanesisch-türkischen Großfamilien sind, kann Jungbluth nicht sagen. „Das ist eine Täterklientel mit hoher krimineller Energie, die nach unseren Informationen in den Niederlanden auch in anderen Deliktsfeldern aktiv sind wie Rauschgift“, sagt er.

Die Ermittler gehen von einem Kriminalitätsphänomen aus, nicht von einer einzelnen Tatserie. „Bei einer Serie hat man die Täter festgenommen und eingesperrt, und dann ist die Tatserie beendet. Hier passiert das nicht“, sagt Jungbluth. „Man nimmt mehrere Täter fest, trotzdem stellen wir keinen Rückgang der Taten fest.“ Deswegen sei es extrem schwierig, wirksame Maßnahmen zu finden. Es gebe unterschiedliche Gruppen, und man stünde vor dem Problem, diese zu identifizieren, festzunehmen und die Taten nachzuweisen.

Unter Beteiligung der „EK Heat“, eine 2015 ins Leben gerufene Ermittlungskommission beim LKA, sind bislang 81 Tatverdächtige in NRW oder in den Niederlanden festgenommen worden – entweder nach Fahndung, auf frischer Tat, oder auch nach sehr umfangreichen Auswertungen und Analysen, „mit denen wir Haftbefehle erwirken konnten, die dann zu Festnahmen geführt haben“, so Jungbluth. Trotzdem bleibt das Phänomen bestehen.

Aus den Tätern bekommen die Ermittler bei Verhören nichts raus. „Sie schweigen, räumen nur das ein, was wir ihnen kriminalistisch nachweisen können“, sagt er. „Sie versuchen auch konsequent Tatgegenstände, die sie zurücklassen, so zu behandeln, dass man nur mit sehr hohem Aufwand noch Spuren sichern kann – wie bei ausgebrannten Autos oder Motorrollern.“

Das LKA hat mit den Banken sehr umfangreiche Präventionskonzepte abgestimmt – etwa Nebelanlagen, die ausgelöst werden, sobald sich jemand an dem Automaten zu schaffen macht. Aber die niederländischen Täter passen ihre Vorgehensweise sofort den neuen Sicherheitsvorkehrungen an und schwenken um – zum Beispiel auf freistehende Geldautomaten. „Das hatten wir in den vergangenen Jahren eher selten, aber in diesem Jahr nimmt das zu“, erklärt Jungbluth. „Oder sie satteln um und sprengen nicht mehr nur mit Gas, sondern leider auch mit Sprengstoff. Auch das scheint zuzunehmen. Das besorgt uns sehr, weil das die Tatausführung noch gefährlicher macht.“

Die Taten laufen sehr schnell ab – häufig nur in drei bis vier Minuten. Die meisten Teams bestehen aus drei Personen. Nach Erkenntnissen des LKA ist es häufig so, dass zwei am Automaten hantieren und die dritte Person bei laufendem Motor im Fluchtwagen wartet. Noch bevor Polizei zum Tatort gerufen sei, setze das rücksichtslose Fluchtverhalten ein, erklärt Jungbluth, deshalb auch die hochmotorisierten Autos. „Sie brettern dann mit bis zu 300 km/h über die Autobahn. Dabei nehmen sie bewusst hohe Risiken für sich selbst in Kauf. So gab es bei Fluchten schon mehrere tödliche Unfälle.“ Das mache eine Festnahme natürlich extrem schwierig.

Die Gruppen aus den Vororten Amsterdams und Utrechts haben sich laut LKA eine ganz bestimmte Vorgehensweise angeeignet. Demnach gelingt es auch meistens nur ihnen, in NRW bei den Automatensprengungen erfolgreich zu sein, während andere Täter, die dieses Konzept kopieren wollen, oft scheiterten.

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