Leere Metropolen, leere Strände So erleben London und Mallorca die Corona-Krise

London/Palma · In Europas Metropolen und Touristen-Hotspots herrscht gähnende Leere. Ein Besuch in London und auf Mallorca veranschaulicht stellvertretend, was das bedeutet.

 Hier würden normalerweise Touristen Schlange stehen. Doch die sind auch in London verschwunden.

Hier würden normalerweise Touristen Schlange stehen. Doch die sind auch in London verschwunden.

Foto: AP/Frank Augstein

Es war ein ungewöhnlich sonniger Tag, als sich London selbst abriegelte – wie so viele Metropolen in diesen Tagen. Als die Pubs in Soho ihre Zapfhähne abdrehten, die Museen an der Themse auf unbestimmte Zeit das Licht löschten, die Souvenirläden auf der Oxford Street ihre Schilder und Queen-Wackelfiguren einpackten. Es war der Morgen, nachdem Premierminister Boris Johnson sich an die Nation gewandt und nach Forderungen aus allen Teilen der Gesellschaft nach strengeren Maßnahmen den Lockdown verordnet hatte.

Dann legte sich eine dumpfe Stille über die Metropole, eine Dunkelheit, die auch die Frühlingssonne nicht zu vertreiben vermag. Sie dauert nun seit neun Tagen an. Es könnten gefühlt auch neun Wochen sein – müßig, die Tage zu zählen in einer Zeit, in der sie alle gleich sind, Montag, Mittwoch oder Sonntag. Allein, was sich verändert ist die Zahl der täglich vermeldeten Toten. London sticht als Epizentrum heraus.

Londons Schönheit speist sich aus dem Alltag

Im Zentrum der Metropole herrscht Stillstand. Erstmals seit den Angriffen der deutschen Bomber während des Zweiten Weltkriegs. Es sind Erinnerungen aus Schwarz-Weiß-Zeiten, von denen man dachte, sie nie wieder in der Weltstadt erleben zu müssen.

Londons Schönheit liegt nicht in seinen Sehenswürdigkeiten und Wahrzeichen, seinen Plätzen und Monumenten. Sie speist sich aus dem Alltag, den Menschen, der Energie. „Wer Londons müde geworden ist, der ist lebensmüde; denn in London gibt es alles, was das Leben bieten kann“, sagte der Schriftsteller Samuel Johnson im 18. Jahrhundert. Seine Worte gelten auch fast 250 Jahre später. Und nun wurde aus der Stadt alles Leben gesaugt. Gespenstisch. Gruselig. Der Stillstand, der zum Innehalten zwingt, ist schmerzvoller als man es für möglich gehalten hat. Ohne die Menschen bildet die Stadt lediglich eine Hülle, hübsch gewiss, aber London pfeift auf hübsch, sondern will weiter und das schnell. Wie überhaupt können mehr als neun Millionen Einwohner so leise sein?

Die Sonne scheint noch immer ungewöhnlich oft und viel. Vielleicht ist das der Grund, warum beim Gang durch Londons Innenstadt die Szenerie besonders surreal erscheint – als hätte jemand einen Sepia-Filter über die Stadt gelegt und gleichzeitig Schalldämpfer angebracht.

An der meistfotografierten Telefonzelle der Welt am Parliament Square, im Hintergrund der Glockenturm mit Big Ben und der Westminster-Palast, baumelt der Hörer herunter, als hätte der letzte Tourist fluchtartig das Bilderbuchmotiv verlassen. Kein Fluglärm, die meisten Airlines haben den Betrieb eingestellt. Keine Sirenen, zu frei sind die Straßen, als dass Krankenwagen und Polizei das laute Geheul benötigten. Kein Stimmengewirr. Kaum Verkehr bis auf die fast leeren roten Doppeldeckerbusse, die sich wie Überbleibsel aus der alten Welt durch die Metropole bewegen. Man fühlt sich plötzlich einsam in dieser weiten Stadt.

Die Stille fällt auch in Palma de Mallorca auf. Kein Klappern von Tassen aus den Cafés, kein vielsprachiges Gemurmel auf den sonst an jeder Ecke installierten Terrassen von Mallorcas Hauptstadt. Die Straßen und Plätze der Altstadt von Palma sind ausgestorben. Die strenge Ausgangssperre, die seit gut zwei Wochen in ganz Spanien herrscht, hat nicht nur dem Treiben der Einheimischen ein vorübergehendes Ende gesetzt. Mittlerweile sind auch die letzten Touristen, die bei der Ausrufung des Notstandes hier Ferien verbrachten, abgereist.

Wie lange es dauert, bis die Ersten wieder zurückkehren, das ist dieser Tage die große Frage. Das Virus zeigt, dass die große Stärke der Insel zugleich auch ihr größter Schwachpunkt ist. „Ein Großteil unserer Wirtschaft hängt direkt oder indirekt von Tourismus ab – das macht die Balearen zu einer der Regionen Spaniens, die am schwersten von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise betroffen ist“, erklärt Ökonom Antoni Riera. Der Professor hat ausgerechnet, wie hoch die Verluste sein werden, die durch die staatlich angeordnete Schließung aller Hotels auf den vier Inseln entstehen. Der Totalausfall entspricht demnach 1,4 Milliarden Euro, die nun in den Taschen von Hoteliers, Transportfirmen und Restaurantbesitzern fehlen. Riera befürchtet eine langanhaltende Angst der Urlauber vor Reisen mit dem Flugzeug, zudem prophezeit er eine größere Sparsamkeit der Verbraucher, von deren Reisebudget das täglich Brot vieler Mallorquiner abhängt.

Die Insellage könnte allerdings helfen, das Virus schneller unter Kontrolle zu bekommen als andernorts. Fähr- und Flugverbindungen sind auf ein absolutes Minimum gekürzt. An Palmas Flughafen, wo in der Hauptsaison die Maschinen im Minutentakt landen, gibt es derzeit noch knapp ein Dutzend Verbindungen zum Festland und nach Resteuropa. Doch der Vorteil, sich schnell abschotten zu können, birgt auch den Nachteil, auf die Flugverbindungen angewiesen zu sein. Andreu Serra, Dezernatsleiter für Tourismus des Inselrates von Mallorca gibt zu, dass die unsichere Lage vieler Airlines fatale Auswirkungen auf den Inseltourismus haben kann.

Die Sorgen von Ökonom Antoni Riera über eine drohende Reise-Unlust teilt Serra nicht. „Wir haben die Krise nach dem 11. September 2001 überstanden, wir werden auch diese Krise überstehen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort