Gespräch mit Schülern Merkel und das Flüchtlingsmädchen

Bonn · Politik hat Folgen, auch für eine Bundeskanzlerin. Aber wohl nicht allzu oft wird Angela Merkel so unmittelbar damit konfrontiert. In Rostock war es jetzt ein herzerweichend weinendes Mädchen aus dem Libanon.

"Gut leben in Deutschland" steht in großen Buchstaben auf der Tafel hinter Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin ist zu Gast in Rostock, in der Paul-Friedrich-Scheel-Schule diskutiert sie mit Schülern über deren Vorstellungen ihrer künftigen Lebensqualität. Dann meldet sich die zwölfjährige Reem aus Rostock und schildert ihre Lebenswirklichkeit.

Aus dem Libanon geflüchtet, lebt das Palästinensermädchen seit vier Jahren mit ihrer Familie in Rostock. Vor der Zukunft hat sie Angst, denn der Familie droht jetzt die Abschiebung. "Ich habe Ziele im Leben, ich will studieren", erzählt sie der Kanzlerin. "Es ist sehr unangenehm mitanzusehen, wie andere das Leben genießen können."

Die Spannung in der Turnhalle der Rostocker Paul-Friedrich-Scheel-Schule ist an diesem Mittwoch deutlich spürbar. Die Mitschüler sind sichtlich beeindruckt von Reems Schilderungen, auch Merkel sucht kurz nach Worten. "Du bist ein unheimlich sympathischer Mensch", sagt sie. Aber die Kanzlerin, die als die mächtigste Frau der Welt gilt, macht auch deutlich, dass sie für das hübsche und aufgeweckte Mädchen nicht mehr tun kann. Sie spricht über die Anstrengungen der Bundesregierung, das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen. "Das ist manchmal auch hart - Politik", sagt Merkel und kommt ein wenig ins Stocken.

Fehlende Empathie

Dann spricht sie die Situation in den Flüchtlingslagern an. Reem wisse halt auch, dass in den palästinensischen Lagern im Libanon noch Abertausende Flüchtlinge sitzen. Deutschland könne es nicht schaffen, allen Flüchtlingen im Nahen Osten oder denen in Afrika zuzurufen: "Ihr könnt alle kommen."

"So kann man doch nicht mit einem kleinen Mädchen umgehen", sagt eine Lehrerin im benachbarten Raum des modernen Schulzentrums, wohin der Dialog live übertragen wird. Der Kanzlerin fehle doch jegliche Empathie.

Seit vier Jahren an der Schule

Seit vier Jahren ist Reem erst an der integrativ arbeitenden Schule, hat in dieser Zeit fließend Deutsch und Englisch gelernt, etwas Schwedisch kann sie auch. Ihr Vater habe früher als Schweißer gearbeitet, ohne Aufenthaltsgenehmigung dürfe er nicht beschäftigt werden. "Mir ging es hier an der Schule richtig schlecht." Jetzt sei zwar eine vorläufige Genehmigung da, aber noch immer sei die Familie im Wartestand.

Merkel wirkt kühl, als sie sagt, dass künftig keiner mehr vier Jahre auf einen Bescheid zum Asylantrag warten solle. Der Libanon gelte nicht als Bürgerkriegsland. Es seien dort zwar keine sehr guten Lebensumstände, aber es gebe viele Menschen, denen es noch viel schlechter gehe. "Jetzt wollen wir ein beschleunigtes Verfahren machen, davon könntest du vielleicht profitieren."

Bei Reem brechen jetzt alle Dämme und die Zwölfjährige fängt hemmungslos an zu weinen. Dann geht Merkel zu der weinenden Schülerin. "Du hast das doch prima gemacht", sagt sie. Eine Bemerkung, die anschließend im Internet kritisiert wird. Auch der Moderator Felix Seibert-Daiker schaltet sich ein: "Ich glaube nicht, dass es hier um 'prima gemacht' geht, es ist eine sehr belastende Situation." "Ich weiß, dass das eine belastende Situation ist - aber trotzdem möchte ich sie einmal streicheln", kontert die Kanzlerin harsch und streichelt das Palästinensermädchen.

Bevor der Moderator das Thema wechselt, gibt er der Kanzlerin noch eine Mahnung mit auf den Weg: "Wäre schön, wenn Sie das Gesicht des Kindes mitnehmen. Und immer wenn Sie über das beschleunigte Verfahren reden, rufen Sie sich das nette Gesicht des Kindes ins Gedächtnis."

Reaktionen im Internet

Bei Twitter reagieren zahlreiche User auf das kühle Verhalten der Kanzlerin und kritisieren ihren Umgang mit dem Flüchtlingsmädchen. Der General-Anzeiger hat einige Reaktionen zusammengestellt.

Aus #merkelstreichelt wird Merkel streicht: pic.twitter.com/8QDoLeB3Z4

Richard Gutjahr (@gutjahr) 16. Juli 2015

Endlich: Die Merkel-Kollektion auf Video ist da. #merkelstreicheltpic.twitter.com/SRcGwoz3Zd

Sascha Lobo (@saschalobo) 16. Juli 2015

Die Reaktionen auf den Rückzug

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