Corona-Talk bei „Maischberger“ „Mir macht die Kriegsrhetorik ein bisschen Angst“

Düsseldorf · Wie sinnvoll ist die Reise-Einschränkung? Werden die neuen Maßnahmen gegen steigende Infektionszahlen helfen? Sandra Maischberger nahm sich am Abend in der ARD nicht nur deutsche Corona-Politik vor.

 Sandra Maischberger diskutierte in der Sendung mit ihren Gästen über die neuen Corona-Beschlüsse.

Sandra Maischberger diskutierte in der Sendung mit ihren Gästen über die neuen Corona-Beschlüsse.

Foto: obs/ARD Das Erste

Darum ging es

Länger als acht Stunden tagte die Bundesregierung mit den Länderchefs, um Corona-Regelungen für den Herbst zu finden. Im Anschluss ließ Sandra Maischberger in der ARD eine Politikerin, zwei Journalistinnen und zwei Wissenschaftler das Ergebnis kommentieren. Einen Blick in die USA warf “Maischberger. Die Woche” auch: Mit einem Politologen und Mary L. Trump, der Nichte des US-Präsidenten, sprach sie über Trump und seine Aussichten bei der Wahl in zweieinhalb Wochen.

Die Gäste

  • Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, SPD
  • Hendrik Streeck, Virologe
  • Mary L. Trump, Buchautorin, Nichte von Donald Trump
  • Stephan Bierling, Politikwissenschaftler
  • Vince Ebert, Physiker und Moderator
  • Cerstin Gammelin, Journalistin im Hauptstadtbüro der Süddeutschen Zeitung
  • Susanne Gaschke, Autorin der "Welt“

Talkverlauf

Dramatik und Tonfall sind es, die Physiker Vince Ebert nach dem Treffen zu neuen Corona-Beschlüssen im Kanzleramt beunruhigen. “Mir macht ein bisschen die Kriegsrhetorik Angst”, sagt der Wissenschaftsjournalist und zweifelt an der “Eindeutigkeit der Folgerungen der Wissenschaft für die politische Richtung”. Seine Ansicht, es gäbe auch Alternativen, teilt Journalistin Susanne Gaschke: “Mich irritiert massiv die apokalyptische Rhetorik”, sagt sie, denn Angst sei kein guter Ratgeber. Die “Welt”-Autorin drängt darauf, dass nach acht Monaten Pandemie auch Parlamente, Bundesrat und Bundestag wieder verhandeln. “Und wir müssen mal erfahren, was die Maßnahmen bringen.” Gerade beim Beherbergungsverbot hege sie da Zweifel, denn “das versteht kein Mensch mehr.”

Dass es derzeit eine hohe Zustimmungsrate für die Coronapolitik in der Bevölkerung gebe, liegt für sie auch daran, “dass man ganz gut durchgekommen ist bislang.” Die Frage, was politisch richtig sei, werde aber nicht geführt. Gaschke mahnt: Außer dem medizinischen Problem “haben wir aber auch ein ökonomisches Problem, ein gesellschaftliches Problem und kriegen ein Demokratieproblem, wenn nicht wirklich schleunigst die Abgeordneten in Landtagen ihren Aufgaben wieder nachkommen.”

Manuela Schwesig, zugeschaltet aus Berlin, bleibt anderer Meinung: Sie hat den Expertenvortrag im Kanzleramt als Ansage verstanden, “dass man reisen sowohl rein als auch raus aus Risikogebieten massiv einschränken müsste.” In Mecklenburg-Vorpommern, dass zuletzt fünf Millionen Touristen beherbergt habe gehe es nicht um Verbote - “Es geht darum, reisen sicherer zu machen zum Beispiel durch einen Test.” Auch zur Überprüfung von Einschränkungen etwa von privaten Feiern hat sie eine klare Meinung: “Ich kann und will das gar nicht kontrollieren”, sagt die Ministerpräsidentin. “Zur Ehrlichkeit in der Pandemie gehört, dass wir auf das Mitmachen der Bevölkerung angewiesen sind.”

Journalistin Gammelin rechnet damit, dass die neuen Beschlüsse “die Aufmerksamkeit schärfen” werden, sieht aber Probleme mit Umsetzbarkeit. “Wir haben in Berlin schon lange eine Ampel, die war auch schon mal Rot”, sei allerdings ohne Konsequenzen geblieben. Ob die neue Ampel etwas bringen werde, hält sie für fraglich.

Zum Ton der Warnungen hat auch Virologe Streeck eine Meinung. Er halte nichts von Angstmacherei, wie den “Fünf vor Zwölf”-Parolen, vor allem da die Bürger sich zum Großteil gut an die Maßnahmen hielten. “Trotzdem werden wir weiter einen Anstieg der Zahlen sehen”, der durch viele Faktoren begründet sei, sagt Streeck. Er appelliert, Infektionszahlen stärker im Kontext auszuwerten, die Testzahlen einzubeziehen und die medizinische Situation der Kranken. Köln habe zum Beispiel gerade 70 Infektionen pro 100.000 Einwohner gemeldet.

Berücksichtigt werden müsse man dabei die stationäre und Intensiv-Medizin: Von den 70 müssten vielleicht ein bis bis fünf Prozent stationär behandelt werden, die übrigen Fälle würden eher milde verlaufen. “70 stationäre Fälle mit einem Mal wären beunruhigend, 70 Fälle von keiner oder milder Symptomatik hieße für mich: Ampel auf grün.” Erneut appelliert er zu differenzieren. “Es ist nicht das Killervirus, als das wir es am Anfang bewertet haben, aber es ist ein sehr ernstzunehmenden Virus. Eines, mit dem wir zu leben lernen müssen.”

Dem US-Präsidenten ist genau das offenbar gelungen. Er mache Wahlkampf “wie einer, der nie Krank gewesen sei,” sagt Moderatorin Maischberger. Zweifel hat daran Mary L. Trump, die Nichte des Präsidenten, zugeschaltet aus Massachusetts. “Wir wissen nicht, ob er sich völlig erholt hat”, sagt Trump, die Psychologin ist und ein Buch über ihren Onkel geschrieben hat

Ein Rückfall sei durchaus möglich, zumal Trump experimentelle Medikamente bekommen habe, die sonst niemandem zur Verfügung stünden. “Er riskiert das Leben anderer um ihn herum”, sagt sie, ist darüber aber wenig überrascht. Sie beschreibt ihren Onkel als einen Menschen ohne Empathie für andere, der schon als kleiner Junge zum Bully wurde als seine Mutter krank war. Dass er ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen sei, hält sie ebenso für einen Mythos wie die “vier erfolgreiche Jahre als Präsident”.

Darin stimmt ihr Stephan Bierling zu: “Er hat im Grunde in diesen vier Jahren nur für seine eigenen Wähler gearbeitet”, sagt der Politologe und nennt Steuersenkungen für Wohlhabende und die Mauer zu Mexiko als Beispiele. “Für die Nation insgesamt hat er nicht viel erreicht.” Trotzdem stehe seine “Kernklientel nach wie vor zu ihm mit unglaublich hohen Zustimmungsraten.” Trotzdem ist sich Bierling sicher: “Ich bin überzeugt, dass Biden gewinnt.” Grund für seine Annahme: Die Demokraten seien jetzt deutlich stärker motiviert zur Wahl zu gehen als vor vier Jahren, als sie nach acht Jahren Obama etwas zurückhaltend wurden. “Jetzt nach vier Jahren Trump sehen sie, was sie angerichtet haben durch ihre Lethargie”, hofft Bierling. “Jetzt wollen sie Trump aus dem Weißen Haus jagen.”

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