„Geschichte zum Anfassen“ Nazi-Stollen bei Porta Westfalica geöffnet

Porta Westfalica · In einem Stollen tief im Weserbergland haben Zwangsarbeiter ihr Leben lassen müssen. Für die Nazi-Rüstungsproduktion. Jetzt können Besucher dort Geschichte nachempfinden.

 Besucher gehen in Porta Westfalica durch eine ehemalige Stollenanlge in der Tiefe des Jakobsbergs.

Besucher gehen in Porta Westfalica durch eine ehemalige Stollenanlge in der Tiefe des Jakobsbergs.

Foto: dpa

Kälte und absolute Stille empfängt die Besuchergruppen, die sich am Samstagvormittag bei der Porta Westfalica sammeln. Erstmals wird der gigantische Stollen im Jakobsberg, in dem die Nationalsozialisten Zwangsarbeiter bis zum Tode ausbeuteten, für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Rund 350 Teilnehmer haben sich angesagt - die Führungen waren ausgebucht.

Viele Besucher sind von der schieren Größe der unterirdischen Anlage überrascht, in der die Nazis ab 1944 Teile ihrer Rüstungsproduktion verlagert hatten. Tagelang hatten Technisches Hilfswerk und Feuerwehr Lichtmasten und Scheinwerfer in dem weitläufigen Stollen installiert. Dennoch reicht das Licht in manchen Ecken nicht bis an die Decke der gewölbeartigen Hallen, die Zwangsarbeiter in den Wesersandstein treiben mussten. Mehr als 700 Häftlinge sind in dem Stollen ums Leben gekommen.

„Wir waren als Buben ja schon heimlich hier drin, aber mit unseren Taschenlampen haben wir nicht weit sehen können“ sagt ein Rentner, der sich mit anderen etwas von der offiziellen Führung abgesetzt hat. Viele von denen, die sich heute vor Ort ein Bild von der Geschichte machen wollen, sind erst nach dem Krieg zur Welt gekommen. Von der Existenz der Stollen haben sie schon gewusst. Jetzt stehen viele sichtlich beeindruckt vor zerborstenen Stahlträgern und herumliegenden Ziegelsteinen.

Tief bewegt vom Schicksal der Gefangenen ist auch Thomas Lange, der die Besuchergruppe langsam durch die Anlage führt. Immer wieder hält er inne, ergänzt geschichtliche Fakten, nennt Namen der damals verantwortlichen NS-Kommandanten, weiß von der Brutalität der SS-Leute gegenüber den Gefangenen zu berichten und sucht in den Gesichtern der Besucher nach Reaktionen. Viele fragen nach Details, können sich kaum vorstellen an einem Ort zu stehen, wo vor erst 70 Jahren hunderte Menschen ihr Leben lassen mussten. „Es ist ein furchtbar beklemmendes Gefühl da drin zu stehen und zu wissen, was hier passiert ist“, sagt Lange.

Der ehemalige Pädagoge Hans-Helmut Preusse hat sich schon als Lehrer mit der Geschichte des Stollens und dem KZ-Außenlager an der Porta beschäftigt. „Leider konnte ich die Geschichte mit meinen Schülern immer nur theoretisch behandeln“ sagt der 68-jährige heute. Er wünscht sich, dass in Zukunft auch Schulklassen in dem Stollen eine Ahnung davon vermittelt bekommen, wie sehr die Zwangsarbeiter unter den Nazis gelitten haben. „Geschichte zum Anfassen ist gerade heute sehr wichtig“ resümiert der Rentner, als er wieder ans Tageslicht tritt, wo ihn blauer Himmel und Sonnenschein empfängt.

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