Corona-Pandemie in den USA New Yorker Bürgermeister spricht von Kriegszeiten

New York · In New York stoßen Kranken- und Leichenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Millionen-Metropole ist zu einem der Hotspots der Corona-Krise geworden. Viele Bewohner sind trotzdem optimistisch.

 Ein Schiff für New York: Präsident Donald Trump und Verteidigungsminister Mark Esper verabschieden das Lazarettschiff „Comfort“.

Ein Schiff für New York: Präsident Donald Trump und Verteidigungsminister Mark Esper verabschieden das Lazarettschiff „Comfort“.

Foto: AP/Patrick Semansky

Der Feind ist überall, er ist unsichtbar und er hat das Leben und Sterben in New York in wenigen Tage verändert. Die 8,5 Millionen-Metropole ist zu einem der Hotspots der Corona-Krise geworden. Bis Sonntagmittag haben sich nach offiziellen Zahlen des Bundesstaates New York mehr als 30.000 Menschen in der Stadt infiziert, die Dunkelziffer dürfte aufgrund mangelnder Testmöglichkeiten viel höher liegen, fast 700 Menschen sind gestorben. Schon bald wird es in New York City mehr Corona-Fälle als in Wuhan geben, und das Schlimmste – da sind sich alle Experten einig – kommt noch. Mit mindestens 130.000 bestätigten Fällen sind die USA mittlerweile von der Corona-Krise stärker betroffen als jedes andere Land. Rund 2200 Corona-Patienten sind bereits gestorben.

Was in den nächsten Tagen auf alle New Yorker Krankenhäuser zukommen könnte, ist im Elmhurst Hospital Center im Bezirk Queens schon jetzt schreckliche Realität. In der vorigen Woche führte Dr. Ashley Bray dort innerhalb weniger Stunden Herzdruckmassagen an einer über 80-Jährigen, einem Mann in den Sechzigern und an einem 38-Jährigen durch. Alle waren positiv auf Corona getestet, alle hatten einen Herzstillstand erlitten, alle starben trotz Dr. Brays verzweifeltem Kampf. Am selben Tag starben im Elmhurst Krankenhaus zehn weitere Menschen. „Es ist apokalyptisch“, sagte die 27-jährige Allgemeinmedizinerin der „New York Times“.

Eine lange Schlange vor dem Krankenhaus

Schon um 6 Uhr bildet sich jeden Tag vor dem Krankenhaus eine lange Schlange von Menschen mit Husten, Schnupfen und Fieber. Alle wollen sich auf Corona testen lassen. Manche von ihnen stehen bis zum späten Nachmittag an und werden dann nach Hause geschickt, ohne getestet worden zu sein.

Bürgermeister Bill de Blasio schlägt angesichts knapper werdender medizinischer Ausrüstung Alarm. Er könne den reibungslosen Betrieb der Krankenhäuser nur noch für eine Woche garantieren, sagte er am Sonntag dem Sender CNN. Dabei gehe es nicht nur um Masken, Schutzkleidung und Beatmungsgeräte, sondern auch um Personal. Die Ärzte und Pfleger bräuchten Unterstützung. „Hier in New York fühlt es sich wortwörtlich an wie zu Kriegszeiten“, sagte de Blasio.

Kongresszentrum umgebaut

In der vorigen Woche wurde ein Kongresszentrum in Manhattan unter Hochdruck zu einer Corona-Station mit 1000 Betten umgebaut. Weitere temporäre Krankenhäuser sollen in den nächsten Tagen gebaut werden. Zudem soll an diesem Montag ein Krankenhausschiff der US-Marine mit 1000 Betten in New York festmachen und die Krankenhäuser entlasten. US-Präsident Donald Trump verabschiedete das Lazarettschiff „Comfort“ am Samstag im Bundesstaat Virginia persönlich.

Trump brachte auch ins Gespräch, dass die dicht besiedelte und wirtschaftsstarke Region rund um New York komplett abgeriegelt werden könnte. Kritiker wie Gouverneur Andrew Cuomo sagten, die Pläne seien nicht umsetzbar. Statt drastische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zu verhängen, hieß es nun, Menschen in New York, New Jersey und Connecticut würden dazu angehalten, in den kommenden 14 Tagen auf nicht notwendige inländische Reisen zu verzichten.

Leichenhäuser stoßen an Kapazitätsgrenzen

Zwar verpflichtete Trump am Freitag mit einem ursprünglich für Kriegszeiten gedachten Gesetz den Autobauer General Motors dazu, dringend benötigte Beatmungsgeräte zu produzieren, doch für viele Patienten könnte der Nachschub zu spät kommen. In den sozialen Netzwerken kursieren bereits Bilder, auf denen Pfleger in einem großen Krankenhaus in Manhattan notdürftig Mülltüten als Schutzkleidung verwenden.

Die Leichenhäuser der New Yorker Kliniken stoßen bereits an ihre Kapazitätsgrenzen, vor einem Krankenhaus wurde mit Kühlzelten und Kühlanhängern ein provisorisches Leichenhaus errichtet.

Seit über einer Woche gilt in Stadt und Bundesstaat New York ein verschärfter Ausnahmezustand. Alle nicht essentiell wichtigen Geschäfte – ausgenommen sind unter anderem Supermärkte, Apotheken und Tankstellen – müssen geschlossen werden, verboten ist jegliche Art von Versammlung und Menschen müssen mindestens sechs Fuß (1,82 Meter) Abstand voneinander halten.

Hamsterkäufe bei Waffen und Munition

Für New Yorker, die bei horrenden Immobilien- und Mietpreisen oft in winzigen Wohnungen ohne Balkon und Garten mit vielen Familienmitgliedern oder WG-Mitbewohnern auf engstem Raum zusammenleben, sind die vielen Parks und Spielplätze der Stadt oft die einzige Möglichkeit, der Enge zu entfliehen. Das geht nun kaum noch. Den meisten New Yorkern ist der Ernst der Lage aber offenbar bewusst. Immer mehr Parks sind verwaist, und Jogger, die einsam ihre Runden ziehen, achten peinlich genau darauf, niemandem zu nahe zu kommen.

Im waffenverrückten Amerika haben auch bei Waffen und Munition die Hamsterkäufe zugenommen. Nicht wenige Amerikaner befürchten, dass in der Corona-Krise die öffentliche Ordnung zusammenbrechen könnte. Unter dem Ansturm der Hunderttausenden, die in den letzten Wochen von einem Tag auf den anderen ihren Job und damit oft auch ihre Krankenversicherung verloren haben, sind die Seiten der Arbeitsämter zuletzt mehrfach zusammengebrochen.

In Armut stürzen

Auch Jeffrey Allen hat Corona die Existenzgrundlage genommen. Bis das Virus die Stadt erfasste, spielte der 52-Jährige als Bassist für „Moulin Rouge“ und sechs weitere Broadway Shows. Alle sind ausgesetzt. „Ich hatte jede Woche zwei bis acht Auftritte. Spiele ich nicht – kriege ich nichts!“ Der Musiker hat auch die Terroranschläge vom 11. September 2001 erlebt. „Unmittelbar danach sind auch ein paar Auftritte abgesagt worden. Corona ist für mich viel schlimmer. Denn ich weiß nicht, wann ich endlich wieder auftreten und Geld verdienen kann“, sagt der Musiker.

Viele ultrareiche New Yorker haben sich längst in ihre luxuriösen Zweitwohnsitze auf Long Island östlich der Stadt zurückgezogen. Arme Amerikaner, von denen mindestens 27,5 Millionen keine Krankenversicherung haben, wird das tödliche Virus noch weiter in Armut stürzen. Doch viele der notorisch optimistischen New Yorker halten gerade jetzt zusammen. Auf handgeschriebenen Zetteln an Ampeln bieten sie alten und anderen besonders gefährdeten Nachbarn an, sie mit Lebensmitteln zu versorgen und verbreiten Durchhalteparolen.

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