Koproduktion Oscar-Anwärter "Watu Wote" gibt Kenia Hoffnung

Nairobi · Der Kurzfilm "Watu Wote" ist eine von Deutschlands Hoffnungen bei der diesjährigen Oscar-Verleihung. Die kenianische Koproduktion erinnert in dem ostafrikanischen Land an eine schmerzvolle Realität - hilft aber auch, mit dem Thema Terrorismus umzugehen.

 Die Terrorgruppe Al-Shabaab hat einen Bus angegriffen.

Die Terrorgruppe Al-Shabaab hat einen Bus angegriffen.

Foto: Hamburg Media School

Es ist eine bedeutende Geschichte in Zeiten des Terrors und der Abschottung. Ein Bus wird von Islamisten angegriffen. Anstatt ihr eigenes Leben zu retten, stellen sich die muslimischen Passagiere schützend vor die Christen.

Der Oscar-nominierte Kurzfilm "Watu Wote/All Of Us" basiert auf wahren Begebenheiten in Kenia in 2015, trifft aber mit seiner universellen Botschaft der Nächstenliebe und religiösen Toleranz den Puls der Zeit. In dem seit Jahren von Terroranschlägen erschütterten Kenia hilft die deutsch-kenianische Produktion, Wunden zu heilen.

Kurz vor Weihnachten 2015 sickerten die ersten Informationen über den Vorfall durch. Erst in den lokalen Medien, dann in den internationalen. Ein Bus auf dem Weg nach Mandera, einem Ort im abgelegenen Nordosten Kenias nahe der Grenze zu Somalia, wurde von Kämpfern der Terrorgruppe Al-Shabaab angegriffen. Sie zwangen die Insassen auszusteigen. Christen und Muslime sollten sich trennen, forderten die Angreifer.

Doch die muslimischen Insassen weigerten sich, die Christen zu identifizieren. Einige gaben den christlichen Passagieren Kopftücher und Gewänder, um sie als Muslime zu verstecken, wie lokale Medien berichteten. Insbesondere ein Lehrer bot den Angreifern die Stirn. Daraufhin konnten die Businsassen entkommen, die meisten unversehrt - doch der Lehrer wurde angeschossen und starb mehrere Wochen später.

Das Potenzial dieser Geschichte als Filmvorlage erkannten zunächst nicht kenianische, sondern deutsche Filmemacher. Regisseurin Katja Benrath ging das Projekt zusammen mit deutschen Kollegen als Abschlussarbeit der Hamburg Media School an. Die Problematik, die Geschichte als Außenstehende zu erzählen, sah sie: "Eine meiner größten Sorgen ist, dass wir eine Geschichte 'kolonialisieren'", schrieb sie. "Mein wichtigster Wunsch ist, einfach nur ein Helfer zu sein, der dieser Geschichte auf die Welt hilft... Gemeinsam mit den Menschen, die sie erlebt haben oder jeden Tag leben."

Das scheint ihr auch gelungen zu sein. Benrath zufolge war ein Großteil der Crew kenianisch. "Es hat einen Außenstehenden gebraucht, um uns zu zeigen, wie wichtig diese Geschichte ist", sagt der Chef des Kenyan Film Classification Board, Ezekial Mutua. Der Film verkörpert demnach den Kern der kenianischen Kultur. "'Watu Wote' behandelt aber auch einfach menschliche Werte, und zwar, dass wir einander unterstützen."

Der Vorfall war damals ein Lichtblick in Kenia. Denn das ostafrikanische Land hatte bis dahin bereits Jahre des Terrors durchlebt. Seitdem das kenianische Militär 2011 begonnen hatte, die Streitkräfte im Nachbarland Somalia in ihrem Kampf gegen Al-Shabaab zu unterstützen, verübte die Terrormiliz immer wieder Vergeltungsanschläge in Kenia. 2013 griffen Terroristen etwa ein Shoppingzentrum in Nairobi an und töteten mehr als 67 Menschen. Vor allem Bewohner der Grenzgebiete fielen in etlichen kleineren Anschlägen der Terrorgruppe zum Opfer.

"Al-Shabaabs Ziel war es, Konflikte zwischen Muslimen und Christen zu entfachen", erklärt Abdullahi Abdille Shahow von der Denkfabrik International Crisis Group. Das war ihnen auch teilweise gelungen. Die Anschläge hätten vielerorts eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens zwischen den Menschen geschaffen, sagt Shahow. Etliche Christen, die in den primär muslimischen Gemeinden nahe der somalischen Grenze lebten und etwa als Lehrer oder Mediziner arbeiteten, zogen demnach aus Angst weg. Die Wirtschaft, Schulen, Kliniken und Infrastruktur hätten stark gelitten. Darauf hatten viele Bewohner irgendwann keine Lust mehr, wie Shahow erklärt. "Der Vorfall im Dezember 2015 zeigte ganz klar, dass die Menschen es satt hatten."

Trotz der positiven Botschaft ist die Geschichte keine einfache für ein kenianisches Publikum. Die Zahl und das Ausmaß der Anschläge in Kenia ist in den vergangenen Jahren zwar zurückgegangen, Al-Shabaab greift aber nach wie vor immer wieder Zivilisten, Sicherheitskräfte und Regierungsvertreter an. "Natürlich ist es ein sensibles Thema", sagt Mutua vom Kenyan Film Classification Board. Ein Dialog rund um Terrorismus und Vorurteile gegen Muslime werde bereits seit langer Zeit geführt. "Der Film hat diesen Dialog auf eine positive Art erneut ins Licht gerückt."

Kenia feiert nun "Watu Wote" - die besondere Geschichte sowie die Oscar-Nominierung. "Im März werden wir Geschichte schreiben!", twitterte die Produktionsleiterin des Films, Krysteene Savane, mit Blick auf die Oscar-Verleihung am 4. März in Los Angeles. Der Film gewann bereits einen Studenten-Oscar sowie etliche weitere Preise. "Stolz darauf, Kenianerin zu sein", twitterte die TV- und Radiomoderatorin Mwikali. "Der Film drückt Frieden, Liebe und Einigkeit aus."

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