Pop-Musikus Promi-Geburtstag vom 27. Dezember 2018: Stephan Sulke

Genf · Musik ohne moralischen Zeigefinger, das ist Stephan Sulkes Programm. Eigentlich. Vor 40 Jahren füllte er riesige deutsche Konzertsäle. Die Jagd auf Erfolg hat er hinter sich, heute zieht er kleinere Bühnen vor. Da ist er dann aber so bissig wie eh und je.

 Der Schönes und den Horror in der Seele besingt: Stephan Sulke wird 75.

Der Schönes und den Horror in der Seele besingt: Stephan Sulke wird 75.

Foto: Rainer Jensen

"Ich werd dich auch nie wieder küssen ohne erst zu fragen/nie wieder mich an Deinen Busen wagen": ein Song, der sich mit der brandaktuellem Thematik der #MeToo-Debatte über sexuelle Belästigung beschäftigt - möchte man meinen.

Nur: das Lied ist mehr als 30 Jahre alt, ein Ohrwurm aus den 80er Jahren. Die Zeilen stammen aus Stephan Sulkes Hit "Uschi, mach kein Quatsch". Sulke legt immer noch den Finger in die Wunden, bissig, zynisch, traurig oder lustig. "Ich bin aber kein Moralfritze, ich will nicht belehren", sagt er kurz vor seinem 75. Geburtstag (27. Dezember). "Ich will das Schöne und den Horror, der in meiner Seele rumrennt, rüberbringen."

Davon gibt es jede Menge. Denn Sulke ist rumgekommen, ein früher Weltbürger mit Wurzeln in mehreren Kontinenten: Geboren während des Zweiten Weltkriegs in Shanghai, weil seine Eltern aus Berlin flüchten mussten. Aufgewachsen teils in der französischsprachigen Schweiz, mit Abstechern zur Tante in den USA. Dann Plattenerfolge in Frankreich, in den USA, ein Tonstudio in London, Aufnahmen beim Jazz-Festival in Montreux, und dann auch der Durchbruch in Deutschland. "Uschi", inspiriert von Beobachtungen im wahren Leben, erscheint 1982.

"Die vielen Einflüsse, das Multikulti, es ist eine oft schmerzhafte Bereicherung", sagt Sulke der Deutschen Presse-Agentur. "Manchmal beneide ich den Bergbauern, dessen Familie seit 800 Jahren im selben Kaff wohnt, der nichts anderes kennt. Der hat eine Sicherheit. Eine Sicherheit, dass die Welt so ist, wie er sie sieht. Einer wie ich, der flattert durch die Gegend wie ein Blatt und vergleicht immer: hier ist dies besser, dort das andere." Er könne sehr deutsch sein, sagt der Schweizer. "Oder auch nicht."

Sulke hat viel zu sagen. Es sprudelt nur so aus ihm hervor, zu jedem Thema hat er ein, zwei Anekdoten parat. Es darf auch deftig sein, und bei manchem Thema platzt ihm fast der Kragen. Jugend zum Beispiel. "Jugend an sich interessiert mich nicht wirklich", sagt er. "Ich kann auch bissig gegen Jugendliche werden, wenn sie mit übertriebener Selbstverliebtheit daher kommen, oder gedankenlos mit von irgendwelchen debilen Erwachsenen aufgegabeltem Weluntergangsgequatsche antraben." Kinder hat Sulke nicht. Er lebt mit seiner Partnerin in Südfrankreich.

Ein Egoist, wie er im Buche steht. Sagt Sulke über Sulke. "Ich mache das, weil es mir Spaß macht, die Musik muss MIR gefallen." Das war nicht immer ganz so. In den 80er Jahren füllte er große Säle, und stellte plötzlich fest, dass sich nur noch alles um "die Kohle" drehte, wie er sagt. Er hörte 1988 auf, ging ins Immobiliengeschäft, bis nach zwölf Jahren das Heimweh zur Bühne nagte.

Heute ist Sulke lieber auf kleinen Bühnen unterwegs, wie im Frühjahr 2019 in Duisburg, Bonn, Unna. "Wo man den Geruch des Publikums mitbekommt. Da hat man Spaß, und in meinem Alter ist das alles, was zählt im Leben", sagt er vergnügt. Für Ende 2019 ist ein neues Album geplant, mit Neuem und neu interpretierten alten Lieblingssongs.

Als Liedermacher bezeichnet zu werden, quält ihn etwas. "Ich finde, dass das Wort so einen Farbstich nach langen, fettigen Haaren, Gesundheitssandalen und Moralpredigt hat, irgendwie Luther", sagt er. "Pop-Musikus" gefalle ihm besser, im Sinne von "populär".

Den Hit "Uschi" von 1982 enthält Sulke seinem Publikum auf der Bühne eigentlich auch nie vor. "Der Text ist so hinterhältig und zynisch, und er hält den Leuten den Spiegel vor", sagt er. "Nur haben die Leute damals, glaub ich, gar nicht richtig hingehört, das wurde einfach zum Volkslied. Erst heute verstehen die Menschen die Ironie. Eigentlich ist er brandaktuell. Wie ein Beitrag zur #MeToo-Debatte."

Sulke pur, mit Ironie und Bissigkeit, ist auch "Europa", aus dem Album "Liebe ist nichts für Anfänger" von 2017. Er besingt die akribische Mülltrennung, die Entsorgung giftiger Stoffe in Afrika, Kinderarbeit und Hungerlöhne in Asien für billige Klamotten. Und dann: "Hey Leute, ich wohn’ in Europa/Grosses Maul, Presse frei, find ich ganz normal. Und der Rest ist mir scheißegal."

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