Begrenzte Freiheit am Steuer Saudi-Arabien verhaftet Aktivistinnen für Frauenrechte

Istanbul · Führerscheine für Frauen in Saudi Arabien - mit diesem Versprechen will Kronprinz Mohammed bin Salman Reformen in seinem Land vorantreiben. Doch zehn Frauen, die sich dafür einsetzen, wurden nun festgenommen. Wie passt das zusammen?

Die Einführung von Führerscheinen für Frauen in Saudi-Arabien in einem Monat sollte ein Herzstück im Reformprogramm von Kronprinz Mohammed bin Salman werden. Die neue Freiheit am Steuer soll den Aufbruch des Landes in die Moderne symbolisieren. Doch jetzt haben die saudischen Behörden mindestens zehn Aktivistinnen festnehmen lassen, die sich für das Recht auf Selbstbestimmung am Steuer eingesetzt haben. Der Kronprinz macht damit klar, wo für ihn die Grenzen der Reformpolitik liegen: Veränderungen im Königreich sind allein Sache des Palastes. Ansätze für eine eigenständige Reformbewegung werden bekämpft.

Der Palast gibt,der Palast nimmt

Das Vorgehen gegen die Fahr-Aktivistinnen zeugt vom Kernproblem der saudischen Reformpolitik von oben: Der 32-jährige Kronprinz Mohammed will sein Land modernisieren, diesen Prozess aber selbst streng kontrollieren. Nichts ängstigt die Golf-Monarchien mehr als unabhängige Massenbewegungen, die im Arabischen Frühling vor sieben Jahren zum Sturz der Machthaber in Tunesien, Libyen, Ägypten und Jemen führten.

Kronprinz Mohammed, nach seinen Initialen häufig nur MBS genannt, will ein modernes Land ohne Demokratie oder Eigenständigkeit der Bürger: Frauen und Männer, die politische Rechte anstrebten, würden verfolgt, schrieb der amerikanische Ex-Diplomat Gerald Feierstein auf Twitter. Feierstein, der beim Middle East Institute in Washington arbeitet, spricht von einem „neuen illiberalem Modell“.

Mit den Festnahmen wollen die saudischen Behörden verhindern, dass die versprochene neue Freiheit für Autofahrerinnen ab dem 23. Juni als Signal einer weitergehenden Liberalisierung verstanden wird. MBS wolle zeigen, dass die Fahrerlaubnis allein von der Gnade des Herrscherhauses abhänge, sagte ein Aktivist der Nachrichtenagentur AFP: Der Palast gibt, der Palast nimmt.

Um diese Botschaft zu senden, ließen die Behörden unter anderem die 28-jährige Loudschain al-Hatlul festnehmen, die schon vor vier Jahren in Haft gekommen war, weil sie sich unerlaubterweise ans Steuer setzte. Auch die Psychotherapeutin Madeha al-Adschrusch wurde festgenommen: Sie hatte schon 1990 für das Recht der Frauen auf einen Führerschein gekämpft. Den Aktivistinnen werden unter anderem Verrat und die Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten vorgeworfen, die Regierungspresse fährt eine Hetzkampagne gegen sie.

Einige Beobachter spekulieren, das Vorgehen gegen die Frauen sei ein Sabotageakt konservativer Gegner der Reformpolitik von MBS. Manche Blogger und Twitter-Nutzer verbreiten sogar Gerüchte, der Kronprinz, der in den vergangenen Wochen nur selten öffentlich auftrat, sei möglicherweise einem Putsch zum Opfer gefallen. Handfeste Anhaltspunkte dafür gibt es nicht.

Kurze Zügel für die Zivilgesellschaft

Zudem sind kurze Zügel für die Zivilgesellschaft fester Bestandteil der Politik des Kronprinzen: Als die Einführung von Führerscheinen für Frauen im vergangenen Herbst angekündigt wurde, warnte der Palast mehrere Aktivisten und Blogger laut Medienberichten davor, sich öffentlich zu der Reform zu äußern. Trotz des Maulkorbs halten die Behörden bisher am Starttermin für Autofahrerinnen in einem Monat fest.

Während der Druck auf die Aktivistinnen innenpolitisch für MBS durchaus Sinn ergibt, sind die Festnahmen für Saudi-Arabien ein außenpolitisches Desaster. Internationale Menschenrechtsorganisationen setzen sich für die Aktivistinnen ein. Die Regierung in Riad könne sich nicht als Reformkraft in Szene setzen und gleichzeitig so brutal gegen die Frauen vorgehen, kritisierte Amnesty International.

MBS hatte in den vergangenen Monaten viel Geld und Mühe in eine Image-Kampagne für sein Land gesteckt. Der 32-jährige will Saudi-Arabien auf die Zeit nach der Ausbeutung der Ölvorkommen vorbereiten und internationale Investoren anziehen. Er hat die Öffnung von Kinos erlaubt und öffentlich über das Recht der Israelis auf ein eigenes Land gesprochen. Bei einem mehrwöchigen Besuch in den USA im Frühjahr wurde der Kronprinz von Präsident Donald Trump hofiert. MBS versprach US-Unternehmen milliardenschwere Aufträge und traf sich mit Hollywood-Größen sowie den Chefs der großen Technologie-Konzerne.

Nach der MBS-Werbetour im Westen ist der Druck auf die Aktivistinnen ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen, Saudi-Arabien als Land der Zukunft zu präsentieren. Noch ist offen, wie der Kronprinz damit umgehen wird: Er hat sich noch nicht zu den Festnahmen geäußert.

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