Marilyn Monroe Sex-Symbol und Leinwand-Göttin

WASHINGTON · Immer noch umranken Mythen Leben und Tod von Norma Jean Baker, die als Marilyn Monroe zur Ikone wurde. Kann ein Mythos so überlebensgroße Ausmaße annehmen, dass der zerbrechliche Mensch dahinter bis zur Unkenntlichkeit verschwimmt? Können Wirklichkeit und Fiktion so verschmelzen, dass nur noch Superlative das Gedenken steuern und nicht die Tragik einer begnadet talentierten Frau, die meist verzweifelt versucht hat, mit dem Leben klarzukommen?

 Marylin Monroe.

Marylin Monroe.

Wer 50 Jahre nach dem Tod von Marilyn Monroe auf den mit 2000 Biografien, Bildbänden, Romanen, Liedern, Gedichten, Opern, Gemälden, Filmen und hundert Mal so vielen Nachrufen gefüllten kollektiven Dachboden des Monroe-Erbes steigt, kommt umso verwirrter und erschlagener wieder herunter.

Die Flut der nachträglichen Wie-es-wirklich-wahr-Rekonstruktionen über Aufstieg und Fall einer der meistfotografierten Frauen des 20. Jahrhunderts verklärt mehr als sie enträtselt. Je länger der 5. August 1962 zurückliegt, desto unfassbarer wird ihr Tod. Und die Erinnerungsindustrie zeigt kein Erlahmen.

Marilyn Monroe ist daran nicht unschuldig. Die Frau, die nie zögerte, ihre Cola-Flaschen-Figur kategorisch für die schönste im ganzen Raum zu erklären, arbeitete hart an ihrer Undurchschaubarkeit. Ihr Leben bestand aus vielen widersprüchliche Facetten, angesiedelt zwischen jungmädchenhafter Verführungskunst und messerscharfem Kalkül.

Sexsymbol, Stilikone, Diva, Männer-Fantasie, Aschenputtel, Pin-up-Girl, Königin von Hollywood - jeder kann sich bis heute aus dem Fundus die Monroe zurechtpuzzeln, die er braucht. Und zu Geld machen. Fotografen haben dies schon immer blendend verstanden. Wer die meist kostspieligen Bände durchblättert, in denen Meister des Augenblicks wie Eve Arnold, Philippe Halsman, Alfred Eisenstaedt, Richard Avedon, Arnold Newman oder Milton Greene "ihre" Marilyn zeigen, ist verblüfft, wie unnachahmlich Marilyn Monroe mit nur einem Augenaufschlag betörende Natürlichkeit in ganz verschiedene Varianten von Glamour verwandeln konnte.

Das Innerste hielt sie stets verborgen. Selbst die Fotos, die Lawrence Schiller und Bert Stern in den letzten Wochen vor dem Tod machten, offenbaren nicht die tiefsitzenden Versagensängste und Minderwertigkeitsgefühle, die Marilyn Monroe in die tödliche Endlosschleife von Beruhigungsmitteln, Alkohol, Schlaflosigkeit und Verzweiflung trieben.

Eine Frau, die der immer weiter auseinander gegangenen Schere zwischen Image und wahrem Ich am Ende nicht mehr Herr wurde. Ein Frau, die der Welt ein einziger roter Kussmund war und zum Dank zermahlen wurde.

Thomas Noguchi, der Gerichtsmediziner, stieß bei der Obduktion der Leiche (166 Zentimeter lang, 53 Kilogramm schwer, keine "nennenswerte Schädigung" innen wie außen) auf beträchtliche Mengen von Barbitursäure, Basis für etliche Narkose- und Schlafmittel.

"Kleine Selbstmorde" für die Nacht, die für die Monroe nach eigenen Worten jahrelang nichts anderes waren als die Fortsetzung eines "langen, schrecklichen Tages". Warum nur konnte ihr beizeiten niemand wirklich helfen? Arthur Miller, Schriftsteller und Ehemann Nummer drei, beschrieb seine Frau einmal als das "traurigste Mädchen, das ich kenne".

Bei der Kindheit kein Wunder. Schon als Neunjährige, schreibt die am 1. Juni 1926 als Norma Jean Baker zur Welt gekommene Tochter der schottischstämmigen Gladys Pearl Baker und des Norwegers Martin Edward Mortensen in ihrem Tagebuch, wurde sie vergewaltigt. Fehlender Halt in der Familie - die Mutter landete in der Psychiatrie, der Vater war abgängig - wuchs sich in Waisenhäusern und einem Dutzend Pflegefamilien zu einer zerstörerischen Angst vor dem Alleinsein und zugleich vor zu viel Nähe aus.

Erinnerungsorte: 1942 die erste Ehe mit dem Marine-Soldaten James Dougherty. Monroe war 16. Zwei Jahre später folgt die Scheidung. 1946 der zaghafte Beginn der Filmkarriere, nachdem sie in einer Munitionsfabrik entdeckt worden war. Monroe schaltet von brünett auf blond um. 1953 das Titelfoto im ersten "Playboy"-Magazin. 1954 der Durchbruch auf der Leinwand mit "Blondinen bevorzugt" und "Wie angelt man sich einen Millionär?".

Im gleichen Jahr die zweite Ehe, diesmal mit Baseball-Star Joe DiMaggio. Auch hier ist nach zwei Jahren Schluss. 1955 die berühmte Szene am U-Bahn-Luftschacht in "Das verflixte 7. Jahr". Der weiße Faltenrock wird später bei einer Versteigerung 4,6 Millionen Dollar wert sein. 1956 die Ehe mit dem Schriftsteller Arthur Miller. 1959 mit Tony Curtis und Jack Lemmon die göttliche Komödie "Manche mögen's heiß".

1962 der gehaucht gesungene Geburtstagsgruß für John F. Kennedy im New Yorker Madison Square Garden. Im August das Ende. Gefunden wurde Marilyn Monroe unter einem Bettlaken in ihrem Haus in Brentwood.

Oder war es doch Mord? Auch ein halbes Jahrhundert danach werden die Verschwörungstheorien immer noch neu gewendet und gedeutet. Zu den größten Stützen der Version, dass keine freiwillig oder irrtümlich eingenommene Überdosis die Ursache war, gehören der erst im vergangenen Jahr verstorbene ehemalige Bezirksstaatsanwalt John Miner und der damalige Assistent des Gerichtsmediziners, Lionel Grandison.

Von Miner stammt die Information, dass kurz nach der Obduktion sämtliche Organe verschwunden seien, die Klarheit über die Todesursache hätten bringen können. Grandison behauptet, er sei trotz erheblicher Zweifel gezwungen worden, als Todesursache Selbstmord anzugeben. An der Ferse der Toten machte er einen seltsamen Injektions-Einstich geltend.

Der Umstand, dass MM bis heute eine Dreier-Beziehung mit Präsident Kennedy und dessen Bruder Robert angedichtet bleibt, hat der Mystifizierung ihres Todes weiteren Vorschub geleistet. Schon 1986 wartete die englische BBC mit der These auf, die Monroe sei nach einem in lautstarkem Streit geendeten Abschiedsbesuch von Robert Kennedy gestorben.

Sechs Jahre später legten die US-Journalisten Peter Brown und Patte Barham mit Indizien nach, dass die Kennedys die CIA das tödlich Werk vollbringen ließen. Alle Versuche, den Fall erneut vor Gericht zu bringen, scheiterten an der Justiz. Das Rätselraten geht weiter. Auch am 5. August, wenn wieder Tausende an das schmucklose Grab auf dem Friedhof im "Westwood Village Memorial Park" bei Los Angeles strömen werden, um Blumen vor der Grabkammer mit der Aufschrift "Marilyn Monroe 1926-1962" niederzulegen.

Im Radio werden die Abschiedsballaden von Elton John und Pete Seeger erklingen, die Fernsehstationen nehmen die alten Klassiker ins Programm. Auf dass die Legende weiter wuchert. Dabei ist am Morgen des 5. August 1962 in der ersten Nachrichtensendung einer kleinen Radiostation in Los Angeles alles gesagt worden: "Seit Jean Harlow hat nie wieder eine Frau die weibliche Schönheit in einem solchen Maße verkörpert wie sie." Gefunden wurde Marilyn Monroe von Ralph Greenson, ihrem letzten Psychiater. Und Liebhaber.

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