Klagen über Ruhestörung auf dem Land Stadtbewohner kämpfen in französischen Dörfern gegen Lärm

Paris · Viele Franzosen fliehen aus den Städten und suchen die Stille der Dörfer – doch Anspruch und Wirklichkeit passen oft nicht zueinander. Immer wieder kommt es zu Klagen über Ruhestörungen.

 Bauernregel: Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.

Bauernregel: Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.

Foto: dpa

Das Leben auf dem Land ist in Frankreich wieder schwer in Mode gekommen. Auf der Suche nach Ruhe und Beschaulichkeit zieht es viele Stadtbewohner auf die Dörfer – auch wenn es nur in eine kleine Zweitwohnung ist. Dort erwarten die Zivilisationsmüden bisweilen allerdings einige Überraschungen: Grillen zirpen in der Nacht, Kühe muhen am Tag, Hähne krähen am frühen Morgen und hinzu kommt bisweilen ein Stallgeruch, der eine empfindliche Nase zutiefst beleidigen kann.

In Frankreich scheinen die Sinnesorgane der Städter besonders sensibel zu sein, denn immer häufiger kommt es in der sonst eher beschaulichen Provinz zu zum Teil bemerkenswerten Klagen über Ruhestörungen, die manchmal bis vor ein Gericht getragen werden. So müssen etwa im westfranzösischen Saint-Pierre d’Oléro in diesen Wochen die Richter entscheiden, ob der stolze Hahn Maurice weiter morgens laut krähend den Morgen begrüßen darf. In anderen Regionen der französischen Peripherie müssen sich Bauern inzwischen ihr Recht erstreiten, die Wiesen und Felder mit ihren lärmenden Maschinen auch am Samstag oder spät am Abend zu bewirtschaften.

Die geplagten Dorfbewohner sind es zunehmend leid, sich mit den Klagen der dünnhäutigen „néoruraux“ – so werden inzwischen mit einem gewissen Spott die auf dem Land wohnenden Städter bezeichnet – herumzuschlagen. So machte Bruno Dionis jüngst einen Vorschlag. Der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Gajac in der Gironde forderte, das Krähen der Hähne, Kläffen der Hunde, Muhen der Kühe oder das Blöken der Schafe zum nationalen Kulturerbe zu erheben. Dann könne von den lärmempfindlichen Städtern, die nur einige Wochen im Jahr in der Gemeinde wohnen, dagegen nicht mehr geklagt werden, so seine pfiffige Argumentation.

Eine andere Idee präsentierte nun Pierre Morel-À-L'Huissier, Abgeordneter der konservativen Partei Les Républicains in Paris. Angesichts der vielen Klagen, fordert er jedes Département auf, eine Liste der für die Region typischen Geräusche und Gerüche aufzustellen. Die sollen dann in einem Gesetz festgehalten und im Streitfall vor Gericht verwendet werden. Er will seine Idee nach der Sommerpause als Gesetzesvorschlag im Parlament in Paris einbringen.

Inzwischen hat auch die Soziologie das Thema als Beschäftigungsfeld erkannt. „Die meisten Menschen in den Städten leiden unter dem Lärm etwa durch den Verkehr, der ihnen Stress verursache“, erklärt Jean Viard vom Nationalen Forschungszentrum CNRS. „Wenn sie die Stadt verlassen, suchen sie folglich die große Stille.“ Dabei werde von den Stadtflüchtigen allerdings oft ignoriert, dass sie nicht in unbewohnte Gegenden ziehen, sondern auf Dörfer mit festen Strukturen treffen. Da könne das Blöken von Schafen, in dem im Urlaub eine gewisse Romantik mitschwinge, auf lange Sicht zum störenden Lärm werden. Erfülle sich dieser Wunsch der geplagten Stadtmenschen nach Stille nicht, sagt Jean Viard, könne das sehr schnell Enttäuschungen und Konflikten führen.

Manche dieser „néoruraux“ scheinen auf der Suche nach dem großen Schweigen zu allem entschlossen. Dieser Tage lehnte eine Insektenvernichtungsfirma in der Dordogne den Auftrag einer Frau ab. Sie forderte das Unternehmen auf, ein Gelände neben ihrem neuen Haus mit Gift zu überziehen und den dort wohnenden Grillen den Garaus zu machen, da ihr das nächtliche Zirpen den Schlaf raube.

Die Bewohner von Inchy-en-Artois, einer kleinen Gemeinde im Norden Frankreichs, haben inzwischen ihren eigenen, sehr pragmatischen Weg gefunden, die Ruhesuchenden aus der Stadt auf das lärmende Landleben vorzubereiten. Neben dem Ortsschild hängt eine große Tafel, darauf ist zu lesen: „Vorsicht, französisches Dorf, Betreten auf eigene Gefahr!“

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