Talkshow im ZDF Tim Mälzer kämpft bei Markus Lanz mit den Tränen

Bonn · Grund zum Aufatmen sah trotz anstehender Lockerungen bei Markus Lanz im ZDF niemand. Das lag nicht nur an der Polarisierung der Gesellschaft, die Karl Lauterbach beschrieb. Tim Mälzer kämpfte in der Sendung sogar mit den Tränen.

 Tim Mälzer war bei Markus Lanz zu Gast.

Tim Mälzer war bei Markus Lanz zu Gast.

Foto: DPA

Von “Hygiene-Demonstrationen” und einer “Riesenwolke von Verschwörungs-Theorien” berichtet Journalist Olaf Sundermeyer der abendlichen Talkrunde von Markus Lanz im ZDF. Als wäre das nicht gruselig genug, malt der Bundesarbeitsminister auch noch die Zukunft mit 10,1 Millionen Kurzarbeitern aus. Zu Gast waren Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister (SPD), Karl Lauterbach, SPD-Politiker und Epidemiologe, Katja Suding, stellvertretende FDP-Vorsitzende, Tim Mälzer, Gastronom und Fernsehkoch sowie der Journalist Olaf Sundermeyer.

Von den Demonstrationen in Berlin fühlt sich auch Karl Lauterbach angesprochen, und zwar gleich in doppelter Hinsicht: als Politiker und als Arzt. “Es geht ja da nicht nur um Worte, sondern auch darum, dass Leute nicht mehr mitmachen und sich distanzieren und dass wir diskreditiert werden und die Maßnahmen nicht aufrecht erhalten können”, kritisiert der SPD-Politiker und Epidemiologe den Widerstand auf der Straße.

“Wenn wir die gute Disziplin nicht mehr hätten, hätten wir in kurzer Zeit viele Todesopfer zu beklagen.” Dann könnte auch Deutschland noch in eine Situation wie in Oberitalien oder anderen katastrophalen Gebieten geraten, sagt er. “Das ist keine Kleinigkeit.“ 
Lauterbach geht ohnehin davon aus, dass die Situation die Gesellschaft polarisieren wird, und zwar auf drei Ebenen: “Während einige sagen, Corona sei für sie kein großes Risiko und deshalb wollten sie keine Einschränkungen mehr auf sich nehmen”, gebe es andere, die viel zu verlieren haben. Dann trenne die Gesellschaft sich auf einer zweiten Ebene: “Da gibt es jene, die sich durch Vernunft, Wissenschaft und gute Argumente und Gründe leiten lassen”, führt Lauterbach aus. Denen stünden andere gegenüber, “die entscheiden aus dem Bauch heraus, die sind irrational, sind wissenschaftsskeptisch und sehen hinter allem eine Verschwörungstheorie.”

Auf der dritten Ebene sieht er eine „große Gruppe vernünftiger Leute, auch Idealisten, die sagten, Weltwerte dürften nicht untergraben werden“, während andere ökonomische Aspekte für wichtiger hielten. “Corona wird uns mindestens noch eineinhalb Jahre oder deutlich länger begleiten”, sagt Lauterbach mit Überzeugung. Zumal nach der Pandemie noch die Bewältigung der Krise anstehe.

Wenig Optimismus versprüht auch der Bundesarbeitsminister. 10,1 Millionen Kurzarbeiter lösten in ihm durchaus zwiespältige Gefühle aus, gesteht Hubertus Heil, lobt Kurzarbeit aber dennoch als “stärkste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal.“

Tim Mälzer, Fernsehkoch und Gastronom, fallen zu diesen Aussichten nicht die launigen Kampfparolen ein, die offenbar von ihm erwartet wurden. “Ich bin gerade echt angefasst”, sagt er und bittet sprachlos, das Studio verlassen zu dürfen. Nachdem ihm Heil versichert, dass er ihm nicht zu nahe treten wollte (“Ich bin kein kalter Hund, Herr Mälzer”) und Lanz ein wenig ablenkt, fängt sich Mälzer nach dem Tränenausbruch wieder. Mit insgesamt über 240 Mitarbeitern könne er sein Schlachtschiff, die “Bullerei” sicher irgendwie durchbringen, kleinere Läden jedoch möglicherweise nicht. Insgesamt fehle ihm angesichts der Situation allmählich „jegliche unternehmerische Vision”.

“Wenn einem die Perspektivlosigkeit so vorgeführt wird, dann ist das schon ganz schön knüppelig”, erklärt der Hamburger seine Bedrückung. Er als Fernsehkoch habe ja noch ein paar andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen, aber wenn er an einen Landgasthof denke, der ohnehin vor allem auf dem Prinzip der lebenslänglichen Selbstausbeutung operiere, dann sei das schon “sehr krass”. Mälzer fehlt vor allem eine wirtschaftliche Perspektive, mit der er arbeiten kann und mit derfür seine Mitarbeiter eine Zukunft entweren kann.

Auch an praktischen Lösungen ist er interessiert und setzt ein Plastikvisier auf, dass er von seiner Zahnärztin mitgebracht hat. Karl Lauterbach erklärt daraufhin die Wirkung von Aerosolen, die das Virus enthalten und sich noch mehrere Stunden nachdem ein Gast ein Restaurant verlassen hat, im Raum befinden könnten. “Ein Restaurant zu betreiben wie bisher, mit 80 Prozent vollen Tische zur Stoßzeit, mit normalem schnellem Betrieb, auch in der Küche, das halte ich ehrlich gesagt auf absehbare Zeit für absolut unmöglich”, sagt der SPD-Mann. Dann wären Restaurants, was sie am Anfang gewesen seien: “die Brandbeschleuniger der Pandemie.”

Ähnliches gelte für den Unterricht: “Schulen mit 30 Kindern im Klassenraum, das ist undenkbar, und das wird im nächsten Jahr nicht stattfinden”, sagt er. Dass Kinder Erwachsene anstecken könnten sei dank einer erstklassigen Studie inzwischen erwiesen. Auch als Katja Suding das Beispiel Schweden anführt, lässt sich Lauterbach nicht aus dem Konzept bringen: “Schweden ist völlig verantwortungslos, die haben jetzt schon dreimal so viele Tote wie wir, das muss man mal ehrlich sagen.” Und der FDP-Frau erklärt er auch geduldig, warum ein Restaurant nicht mit einem Supermarkt vergleichbar sei: “In Supermarkt steht ein Mensch vielleicht eine Minute an der Kasse, das ist anders, als wenn jemand bei Herrn Mälzer zwei Stunden edle Küche genießt.”

Zum Schluss warnt Lauterbach noch, jetzt nicht die Forscher zu verunglimpfen. Niemand habe gesagt, die Zahlen würden explodieren wie in Amerika. “Wir haben gesagt: Uns wird das erspart bleiben, wenn wir machen was wir euch empfehlen.” Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Wissenschaftler etwas in Deutschland vorhergesagt hätten, was dann nicht eingetreten sei. “Das diffamiert die Arbeit, die wir gemacht haben.” Und dass nichts Schlimmeres eingetreten sei, sei ja Erfolg dieser Arbeit. “Es gibt diesen Spruch: “Die Epidemiologie hat keine Helden”, sagt Lauterbach, “weil ich den vermiedenen Tod nachher gratis nehme und nicht sehe was sonst passiert wäre.”

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