Brustimplantate Tüv Rheinland soll an Frauen zahlen

PARIS/TOULON · Bewusst hat der frühere französische Hersteller von Brustimplantaten Poly Implant Prothèse (PIP) minderwertiges Silikon anstelle von medizinisch zugelassenem verwendet und gesundheitliche Probleme von Frauen in aller Welt in Kauf genommen - doch auch der Tüv Rheinland trägt Verantwortung in dem Gesundheitsskandal.

Das Handelsgericht im südfranzösischen Toulon stellte gestern fest, er habe seine "Kontroll- und Aufsichtspflicht" verletzt und verpflichtete ihn zu Schadensersatzzahlungen. Unmittelbar nach dem Urteil kündigte ein Unternehmenssprecher an, in Berufung zu gehen. Erstmals wird der Tüv Rheinland mit haftbar gemacht, nachdem in Deutschland die AOK Bayern und eine Frau jeweils mit Klagen gescheitert waren. Tüv-Verteidigerin Cécile Derycke zeigte sich "schockiert".

In dem Zivilprozess hatten fast 1700 Frauen und sechs Händler Entschädigung in Höhe von insgesamt rund 53 Millionen Euro gefordert. Nach Ansicht der Richter soll jede der Klägerinnen zunächst 3000 Euro erhalten, bis ihre individuellen Untersuchungen abgeschlossen sind. Die PIP-Produkte stellten sich als reißanfällig heraus, riefen Entzündungen hervor, teils trat Silikon aus. In vielen Ländern riefen die Behörden dazu auf, sich die PIP-Einlagen entfernen zu lassen. Weltweit wurden sie Hunderttausenden Frauen eingesetzt; in Deutschland sind es nach Schätzungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte rund 5000.

Der 73-jährige PIP-Gründer Jean-Claude Mas und vier frühere Mitarbeiter stehen derzeit in Marseille vor Gericht wegen schwerer Täuschung und Betrugs. 2010 wurden PIP-Produkte vom Markt genommen, die Firma meldete Konkurs an, nachdem sie zuvor bis zu 100.000 Exemplare pro Jahr in mehr als 65 Länder verkauft hatte.

In dem Strafprozess in Marseille tritt der Tüv Rheinland als Nebenkläger auf. "Wir waren selbst Betrugsopfer", so Anwältin Derycke. Aufgabe des Tüv sei es nicht gewesen, die Produkte selbst zu kontrollieren, sondern lediglich das System zur Qualitätssicherung.

Jean-Claude Mas und frühere Mitarbeiter gaben systematische Vertuschung zu: Kündigte sich der Tüv Rheinland an, wurde das betrügerisch verwendete Billig-Silikon in Containern versteckt, die Daten über dessen Einkauf löschte man. Unangekündigte Kontrollbesuche gab es nicht. Inzwischen hat die EU-Kommission diese aber vorgeschrieben.

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