Steven Spielbergs "Jaws" Und der Haifisch, der hat Szene

EDGARTOWN · Es war ein Zufalls-Biss, der Hunger auf mehr machte. Mit "Jaws", in deutschen Kinos unter dem Titel "Der Weiße Hai" zu Wasser gelassen, etablierte die Traumfabrik am 20. Juni 1975 die Disziplin des Sommer-Hits, veränderte für immer unsere Wahrnehmung vom maritimen Räuber, prägte die kollektive Angst über das, was in der Tiefe der Meere lauert, und machte neben Regisseur Steven Spielberg ein idyllisches Fleckchen Erde an der US-Ost-Küste weltberühmt.

 Gefahr aus der Tiefe: das Cover zur "Jaws"-Filmmusik. Repro: GA

Gefahr aus der Tiefe: das Cover zur "Jaws"-Filmmusik. Repro: GA

Die auf 55 Tage angesetzten Dreharbeiten zogen sich 159 Tage hin. Kostenpunkt: zwölf Millionen Dollar. Viermal so viel wie damals üblich. Die Hauptdarsteller Roy Scheider (Brody), Robert Shaw (Quint) und Richard Dreyfuss (Hopper) nannten den Film nach wenigen Wochen sarkastisch "Flaws" (Pannen) statt "Jaws" (Rachen). Spielberg erinnerte sich an "Cleopatra". Und wie der Film die 20th Century Fox Studios 1963 beinahe ruiniert hätte. "Ich fürchtete, dass ich nie wieder einen Fuß in Hollywood auf den Boden bekomme." Unbegründete Sorgen.

Bis heute spielte der Film eine halbe Milliarde Dollar ein

Zwei Wochen nach dem Start in 464 Kinos landesweit waren die Kosten wieder drin. Zigtausende Amerikaner waren wie elektrisiert, als die Film-Musik, ein ungemein wirkungsvolles Zwei-Noten-Opus, durch die Lautsprecher drang und den Horror auf der Leinwand ins Unerträgliche verstärkte.

Spielberg, der später mit "ET", "Jurassic Parc", Schindler's Liste" und anderen Großwerken für Furore sorgen sollte, erlangte Wunderkind-Status. "Jaws" wurde mit drei Oscars belohnt, hat bis heute weltweit fast eine halbe Milliarde Dollar eingespielt und markiert die Geburt des Sommer-Kassenschlagers.

Bis dahin war die Jahreszeit zwischen Memorial und Labor Day mau fürs Gewerbe. Gezeigt wurde B-Ware, filmische Überbrückungsmusik. Heute sorgt diese Kino-Periode für 40 Prozent des Jahresumsatzes in Hollywood.

Auch die Ansiedlung von "Amity", haiverseuchtes Badeörtchen im Film, sollte die Insel Martha?s Vineyard vor Massachusetts für immer verändern. Sechs Jahre nach Filmstart kaufte die Kennedy-Witwe Jackie Onassis ein Ferienhaus. Heute tummeln sich Superreiche, Stars und Präsidenten zwischen Oak Bluffs und Chilmark.

Die US-Ausgabe von Sylt erduldet den Hai-Tourismus mehr, anstatt ihn zu fördern. In Edgartown, wo Spielbergs Crew ihr Hauptquartier aufschlug, sucht man vergebens nach Souvenir-Buden und anderen kitschigen Zweitverwertungsstellen.

Dafür kann fast jeder Einheimische Possen aus den Drehtagen überliefern. "Wussten Sie", fragt Jack, der Taxifahrer, "dass die tonnenschweren Haifischmaul-Attrappen aus Stahl und Plastik entweder von Unterwasser-Schlitten gezogen oder von getarnten Tauchern geschoben wurden und alle auf den Spitznamen Bruce hörten - benannt nach Spielbergs Rechtsanwalt Bruce Ramer?"

Wer sich auf die Suche nach Original-Schauplätzen begibt, spürt beim Blick aufs Meer noch immer leichte Gänsehaut. Der "Joseph Silvia State Beach", wo der Kintner-Junge dem Hai zwischen die Zähne schwamm, die "Chappaquiddick-Fähre", wo Bürgermeister und Sheriff Brody über die Sperrung der Strände streiten, der "Sengekontacket Pond", in dem Brodys Sohn fast zu Tode erschreckt wurde, "Menemsha", das Fischerdorf, in dem das frappierend an Moby Dick?s Ahab erinnernde Rauhbein Quint und seine "Orca" vor Anker lagen - alles da, alles wie damals im Mai 1974.

Gemeinsam mit Peter Benchley, der mit seinem Roman die Vorlage zum Film geschrieben hatte , war Spielberg damals angerückt. Jahre später haderte der Journalist damit, den weißen Hai gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis als menschenmordende Fressmaschine überzeichnet zu haben. Bis zu seinem Tod blieb er ein leidenschaftlicher Hai-Versteher und Kämpfer für den Artenschutz.

Das erste Opfer im Film ist heute Buchhalterin

Zum 40. Geburtstag wird "Der Weiße Hai" nun in den nächsten Tagen in 500 ausgewählten US-Kinos in der Originalfassung gezeigt. Natürlich auch im urigen Capawock Theater in Oak Bluffs.

Ganz in der Nähe hatte Chief Brody in Richtung Quint den legendär trockenen Satz improvisiert, als er das Ungetüm zum ersten Mal sah: "Du brauchst ein größeres Boot."

Ganz in der Nähe starb Chrissie Watkins. Das erste Opfer im Film, das vom Nacktbaden nicht mehr heil zurück an Land kam. Susan Backlinie, die Darstellerin der unglücklichen Schwimmerin, hat Hollywood übrigens schon bald nach den Dreharbeiten wieder den Rücken gekehrt. Backlinie lebt heute als Buchhalterin in Kalifornien. Da sieht man die Haie wenigstens, wenn sie durch die Tür kommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort