Nachruf auf eine legendäre Modedisignerin Vivienne Westwood, die Königin des Punk

London · Sie starb friedlich – umgeben von ihrer Familie. Die britische Modedesignerin und Punk-Legende wurde 81 Jahre alt. Sie lebte die Provokation, bis zum Schluss.

Vivienne Westwood während eines Besuchs einer Modenschau 2005 in Paris.

Vivienne Westwood während eines Besuchs einer Modenschau 2005 in Paris.

Foto: dpa/Michel Euler

Als Vivienne Westwood als Kind durch einen Wald in der Nähe ihres Elternhauses in Derbyshire, einer Grafschaft im Herzen Englands, streifte, imaginierte sie sich in andere Welten. Sie wollte eine Waldfee werden, die fantastische Kleider trägt, jeden Tag. Als Modedesignerin setzte sie ihre Träume um. Sie schaffte schließlich den Sprung auf die Laufstege dieser Welt, allerdings nicht als „gute“ Fee. Stattdessen nahm ihre Karriere mit der Gestaltung des Looks der Punk-Subkultur Fahrt auf. Sie wurde zu einem „Enfant terrible” der britischen Modewelt. Am Donnerstag ist die „Königin des Punk“, wie sie anerkennend genannt wird, im Alter von 81 Jahren im Kreise ihrer Familie in London gestorben. Angaben zur Todesursache wurden zunächst nicht gemacht.

Sie war auch eine Aktivistin

Kolleginnen und Kollegen aus der Branche auf der ganzen Welt äußerten ihre Trauer über den Tod der Ikone. Die schottische Modedesignerin Pam Hogg beschrieb sie als große Inspiration und „wunderbaren Menschen“. Schließlich war Westwood mehr als nur eine Berühmtheit in der Welt der Mode. Sie war eine Aktivistin. Ihr Wille, den Status-Quo zu bekämpfen, war bis zum Schluss ungebrochen. Noch anlässlich ihres 80. Geburtstages veröffentlichte sie einen Kurzfilm, in dem sie die Gleichgültigkeit der Gesellschaft angesichts drohender Umweltkatastrophen anprangerte. Bis ins hohe Alter fehlte sie auf kaum einer größeren Demonstration, engagierte sich unter anderem für Menschenrechte und für den Kampf gegen den Klimawandel. Die große Show gehörte dabei stets dazu.

Unvergessen sind die Szenen, als sie im Sommer 2020 – in schrillem Gelb gekleidet und eingesperrt in einen riesigen Vogelkäfig – die Freilassung des umstrittenen Wikileaks-Gründers Julian Assange forderte. „Die Welt ist korrupt!“, rief sie vor Journalisten und Demonstranten in ihr Megafon. Fünf Jahre zuvor fuhr sie mit einem Panzer vor das Haus des damaligen britischen Premierministers David Cameron vor, um gegen die britische Fracking-Politik zu protestieren. Nachdem Königin Elizabeth II. sie 1992 zur „Officer of the Order of the British Empire“ (OBE) geschlagen hatte, schwang Westwood vor dem Kensington-Palast ihr Kleid nach oben und zeigte so, dass sie ohne Höschen erschienen war. Auch anlässlich ihrer Ernennung zur „Dame“ im Jahr 2006 ging sie unten ohne. „Ich weiß nicht, was die Aufregung soll“, gab sich die Mode-Ikone damals überrascht. „Ich trage nie Unterwäsche.“

Erster Job: Grundschullehrerin

1941 in Derbyshire als Vivienne Isabel Swire geboren, arbeitete die Tochter von Betreibern einer Postfiliale zunächst als Grundschullehrerin in London und heiratete den Tänzer Derek Westwood. Nach ihrer Scheidung lernte sie Malcolm McLaren, Gründer und Manager der Punk-Band Sex Pistols, kennen. Er interessierte sich brennend für alles Subversive, war immer auf der Suche nach der nächsten Provokation, die er vermarkten konnte. Mit ihm eröffnete sie in den 1970-Jahren auf der Kings Road in London ihre erste Boutique „Let it rock“, die bald Trends setzte und wegen des sich wechselnden Angebotes häufig umbenannt wurde. Westwood entdeckte damals ihre Lust am Stilbruch. Ihre Kreationen, für die sie T-Shirts zerschnitt und wieder zusammennähte, kamen bei den Kunden gut an. Die Boutique wurde zu einem Treffpunkt der Londoner Punk-Rock-Szene.

Schrille Variante des barocken Reifrocks

Als Punk-Mode zum Mainstream wurde, war Westwood längst weitergezogen, künstlerisch wie privat. Ihre rebellische Seite lebte sie jedoch weiterhin aus. Von der Mode des 18. und 19. Jahrhunderts inspiriert, ließ sie die Vergangenheit auf die Gegenwart prallen, brachte opulente Reifröcke aus dem Viktorianischen Zeitalter in exzentrischen und schrillen Varianten auf den Laufsteg oder bediente sich des französischen Rokoko-Stils. Als sich viele Designer in Paris dem Minimalismus verschrieben hatten, verpasste sie ihren Schuhen schwindelerregend hohe Absätze, die selbst Model-Profis ins Wanken brachten. Naomi Campbell fiel bei einer Schau in den frühen 90er-Jahren wegen der 25-Zentimeter hohen Plateaus auf dem Laufsteg.

Alltagstauglich waren ihre Kreationen nur bedingt. Aber warum sollte das die Westwood interessieren? „Mit eindrucksvoller Kleidung hast du ein deutlich besseres Leben“, befand sie einmal. Die „Königin des Punk“ gehörte zu den Großen in der oft flüchtigen und oberflächlichen Branche. Dabei lebt ihr Erbe fort – in der Gesellschaft und in der Mode. Andreas Kronthaler, ihr Partner und Co-Designer, mit dem Westwood seit 1992 verheiratet war und zwei Söhne hatte, sagte in einer Mitteilung am Donnerstag: „Wir haben bis zum Ende gearbeitet, und sie hat mir viele Dinge mitgegeben, mit denen ich weitermachen kann.“

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