Zurück in die Zookunft Von Hand aufgezogener Orang-Utan zurück im Krefelder Zoo

KREFELD · Der zehn Monate alte Orang-Utan Hujan ist in das Affenhaus im Krefelder Zoo zurückgekehrt. Dort lebt er bei seiner Oma und seiner Tante. Weil seine Mutter krank war, wurde Hujan von Tierpflegerin Eva Ravagni mit der Hand aufgezogen.

Dass ihr Kind ausgezogen ist, merkt Eva Ravagni, wenn sie auf dem Sofa sitzt. Dann schaut sie sich im Wohnzimmer um: keine Spur von ihrem Sohn. Das Seil hängt nicht mehr über dem Sofa. Die Schränke sind eingeräumt. Das Klebeband an den Schranktüren ist weg. Mit nur zehn Monaten ist Hujan ausgezogen – ins Affengehege.

Hujan ist ein Orang-Utan. Anfang Juni vergangenen Jahres wurde er im Krefelder Zoo geboren. Kurz nach der Geburt wurde seine Mutter Sungai krank. Sie war stark dehydriert und konnte ihr Junges nicht mehr ernähren. Deshalb begann die Tierpflegerin Eva Ravagni, sich um Hujan zu kümmern und ihn per Flasche aufzuziehen. „Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht“, sagt sie. „Ich sah nur das Jungtier und wollte verhindern, dass es kritisch wird.“

Obwohl sich Hujan und seine Mutter bald erholten, hatte Sungai kein Interesse mehr an ihm. „Sie dachte, das Kind sei tot, weil es ihr in der Narkose weggenommen wurde“, erklärt die 34-Jährige. „Sungai war nicht böse oder aggressiv.“ So entschied die Tierpflegerin, den kleinen Affen weiter aufzuziehen – bei sich zu Hause. Sie räumte Schränke aus, klebte Schranktüren zu und hing über dem Sofa ein Kletterseil auf. „Da konnte er trainieren und selbst wenn er mal fiel, landete er weich“, erzählt sie.

„Einen Menschenaffen kann man nicht alleine aufziehen“, sagt sie. „Er braucht die volle Aufmerksamkeit.“ Deshalb halfen ihre Eltern mit. In den ersten drei Monaten trug Eva Ravagni den Orang-Utan mit einem Tragetuch am Körper. Sie spielte mit ihm, fütterte ihn, wechselte seine Windeln und schlief an seiner Seite. Ihre Mutter ging für sie einkaufen, Arbeitskollegen übernehmen ihre Aufgaben im Krefelder Zoo, zur Arbeit und nach Hause wurde sie gefahren.

Pause in der Hängematte

Hujan wohnte anfangs tagsüber in einem Krabbelstall im Tropenhaus. Täglich besuchte er seine Artgenossen am Gitter. „Das ist wichtig, damit er nicht zu sehr vermenschlicht“, erklärt Eva Ravagni. Nach neun Monaten entschied sie, Hujan an seine Familie heranzuführen. „Er war dafür bereit, konnte klettern und auf seinen Namen hören“, sagt sie.

In der ersten Zeit blieb Ravagni abends länger im Zoo, um Hujan an das neue Umfeld zu gewöhnen. Im März schlief sie dann eine Woche im Affenhaus, nur wenige Meter vom Gehege entfernt. „Mit der Zeit wurde er immer ruhiger“, erzählt sie. Ende März ließ sie Hujan dann bei seiner Oma Lea, die 1993 auch per Hand im Krefelder Zoo aufgezogen wurde. „Eigentlich sollte er erstmal nur ein paar Stunden bleiben, doch Lea nahm ihn sofort auf den Arm, tätschelte ihn und wollte ihn gar nicht mehr loslassen.“

Seitdem erkundet Hujan neugierig das Gehege und spielt mit Leas Tochter Suria, die selbst erst 16 Monate alt ist. „Zur Begrüßung hat sie Hujan an Haaren und Füßen gezogen – nett gemeint natürlich“, sagt Ravagni. Während sich Suria häufig an ihre Mutter krallt und herumgetragen wird, hangelt sich Hujan langsam von Ast zu Ast. Zwischendurch macht er eine Pause in der Hängematte. „Er muss noch sicherer im Klettern werden“, erzählt sie. „Er erschreckt sich auch noch, wenn er an Lea geklammert kopfüber herumschwingt.“

"Es ist, als ob mein Kind ausgezogen sei"

„Es macht Spaß, ihm beim Klettern zuzusehen“, sagt Eva Ravagni, „aber es ist merkwürdig, Hujan nicht mehr bei mir zu haben. Mein Leben war zehn Monate lang auf ihn ausgerichtet.“ Ein affenfreies Zuhause hat allerdings auch seine Vorteile. „Ich kann wieder Freunde zu mir einladen oder zum Friseur gehen, ohne ständig auf die Uhr zu schauen“, sagt Ravagni. „Davor war immer die erste Frage: Wer kümmert sich solange um Hujan?“

Die Beziehung zwischen Affe und Mensch besteht jedoch bis heute. „Ich kann immer noch problemlos seine Zähne kontrollieren“, sagt Eva Ravagni. Mehrmals täglich gibt die Tierpflegerin ihm am Gitter die Flasche mit Babymilch – auch in Zukunft, denn Jungtiere bekommen auch in freier Wildbahn bis zu sechs Jahre lang Muttermilch.

„Trotzdem bin ich wehmütig. Es ist, als ob mein Kind ausgezogen sei“, sagt Ravagni. „Es war eine spannende Zeit.“ Ende des Jahres soll Hujan dann seine Mutter treffen. Seine richtige.

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