Kommentar zum Auftakt der Weltklimakonferenz Abstrakte Gefahr

Meinung | Bonn · Wer sich auf das Gelände der Cop23 begibt, kann die Hoffnung schöpfen, der Planet Erde sei noch nicht ganz verloren. Doch außerhalb der Klimakonferenz, fernab der begleitenden Demonstrationen, Kundgebungen und Kunstaktionen in Bonn, ist die Welt eine andere.

Wer sich auf das Gelände der Cop23 begibt, kann die Hoffnung schöpfen, der Planet Erde sei noch nicht ganz verloren. Tausende Teilnehmer aus aller Welt wuseln umher, halten papierlose Meetings, die Stimmung ist gut. Es surren Elektroshuttles, es dampft klimafreundlicher Kaffee. Vertreter von 190 Ländern, ein gemeinsames Thema – das ist eine Errungenschaft und eine große Chance. Die Delegierten arbeiten unermüdlich daran, dass die restliche Welt das ehrgeizige Ziel im Auge behält: die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Doch außerhalb der Klimakonferenz, fernab der begleitenden Demonstrationen, Kundgebungen und Kunstaktionen in Bonn, ist die Welt eine andere. Im Alltag der Menschen, in der Politik, in den Vorstandsetagen der Wirtschaft, hält man das große Ziel vielfach eben nicht im Auge. Der vorherrschende Gemütszustand in Bezug auf das Klima ist die Trägheit, das am meisten getragene Accessoire sind Scheuklappen.

Der Klimawandel ist Realität, dass der Mensch darauf Einfluss hat, bestreitet kaum jemand ernsthaft. Die Krux aber ist: Die Folgen scheinen, zumindest hier im industrialisierten Westen, abstrakt und liegen räumlich und zeitlich weit in der Ferne. Veränderungen stellen sich erst mit jahrelanger Zeitverzögerung ein. Und selbst wenn wir sofort alle CO2-Emissionen stoppten, würde sich die Atmosphäre in diesem Jahrhundert trotzdem noch weiter deutlich aufheizen.

Jobs sind der Politik wichtiger aus CO2-Ausstoß

Es erfordert einige Vorstellungskraft, einen Zusammenhang zwischen unserem Handeln heute und den Folgen in der Zukunft und für die Menschen am anderen Ende der Welt herzustellen – und entsprechend zu handeln. Wer sich einen SUV kauft, dem deckt nicht deshalb gleich morgen ein Sturm das Hausdach ab. Vielleicht aber seinen Enkeln.

Das Fehlen spürbarer Konsequenzen aus dem eigenen Tun verleitet dazu, das Problem Klimawandel entweder zu ignorieren oder anderen Themen unterzuordnen. Deshalb sind der Politik die Jobs in der Kohleindustrie wichtiger als der CO2-Ausstoß der Kraftwerke. Deshalb steht das Wohl der Autoindustrie über strengeren Abgasgrenzwerten. Deshalb steht bei Konzernen oft der Quartalsgewinn im Vordergrund, nicht die nachhaltige Strategie. Und deshalb ist der Appetit auf ein Rindersteak aus Massentierhaltung oft größer als die Bereitschaft, hin und wieder zu verzichten, weil die Kühe so viel klimaschädliche Gase freisetzen.

Klimaschutz kann anstrengend sein. Er bedeutet Umstellung, Mäßigung und oft auch Spaßverzicht. Wer aber auf der Konferenz in Bonn den Vertretern der langsam verschwindenden pazifischen Inseln begegnet, wer neueste Zahlen über Klimaflüchtlinge liest, wer die Häufung von Stürmen, Fluten und Waldbränden bemerkt hat, der sieht: Die Folgen sind längst da.

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