Affäre Wulff: "Schweigen, verdrängen, ignorieren"

WILDBAD KREUTH/BERLIN · Kanzlerin Angela Merkel sagt nichts zum Thema Christian Wulff. Auch CSU-Chef Horst Seehofer meidet die Mikrofone, und die FDP lehnt jede Mit-Haftung ab. Dafür melden sich ehemalige Größen und die Hinterbänkler zu Wort.

 Wulff allerorten: Auf einem Smartphone im Hamburger Hauptbahnhof läuft das Interview des Bundespräsidenten.

Wulff allerorten: Auf einem Smartphone im Hamburger Hauptbahnhof läuft das Interview des Bundespräsidenten.

Foto: dpa

Horst Seehofer will nicht. Der CSU-Chef, sonst nie um einen Kommentar zum Tagesgeschäft verlegen, meidet in ungewohnter Manier das große Podium. Bis zum Abend. Dann rückt Seehofer aus, um Uli Hoeneß, dem Präsidenten des FC Bayern München, zu dessen 60. Geburtstag zu gratulieren. Ein schöner Termin - ganz in der Nähe von Kreuth. Ein geschützter Auftritt im ausgesuchten Kreis. Doch vorher will der CSU-Chef keine Antworten zu der Frage des Tages liefern: Wie er denn den Wulff-Auftritt bewertet?

Am Abend zuvor hat sich Bundespräsident Christian Wulff zu mehreren gegen ihn erhobene Vorwürfe erklärt. Am Tag danach macht sich der bayerische Ministerpräsident ganz rar. Angeblich, so streuen es Seehofer-Getreue am zweiten Tag der CSU-Klausur im oberbayerischen Wildbad Kreuth, will der CSU-Grande weiteren Fragen zu einer Rückkehr des gefallenen Aufsteigers Karl-Theodor zu Guttenberg aus dem Weg gehen. Angeblich.

Sicher ist, dass der bayerische Ministerpräsident im Fall eines Amtsverzichts kommissarisch das Bundespräsidialamt übernehmen würde, da er zur Zeit Präsident des Bundesrates ist. Dass Seehofer so ganz freiwillig CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt die Bühne überlässt, hat für ihn noch einen anderen Vorteil: Er muss sich nicht weiter zu Wulff äußern.

Guttenberg, Wulff? Wer von den CSU-Leuten kann, meidet den Tross der journalistischen Politik- Beobachter. Wer nicht, wie beispielsweise Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, sagt ausweichend, aber doch vielsagend, hier würden "die wirklich wichtigen Themen" besprochen: Maßnahmen gegen die Euro-Krise, Barauszahlung des Betreuungsgeldes, Schritte gegen Rechtsextremismus.

Also mus die Landesgruppenchefin ran. Sie merkt schnell: Fragen können wie Pfeile sein. Welche persönliche Haltung sie bei der Annahme von Geschenken durch Politiker habe? Hasselfeldt betont, sie selbst sei da "äußerst vorsichtig". Das müsse "zunächst jeder mit sich selbst ausmachen und sich rechtfertigen". Und jeder habe sich an Vorgaben, die es gebe, zu halten.

Ob sich das Präsidentenamt quasi als Lehrberuf eigne? "Mein Gott, es ist eine ganz normale menschliche Angelegenheit", nimmt Hasselfeldt den Wulff in Schutz. Der habe in den zurückliegenden Tagen und Wochen eine Stresssituation aushalten müssen. Jeder möge doch bitte nachdenken, was in einem Menschen vorgehe, der eine solche Entwicklung durchmache. Basta.

Ähnlich verschlossen sieht die Kommunikationsstrategie bei der CDU in Berlin aus. "Schweigen, verdrängen, ignorieren". Das sei die Leitlinie zumindest in der Parteispitze in Sachen Christian Wulff, erklärt ein CDU-Vorstandsmitglied in Berlin. Überzeugt habe das Staatsoberhaupt, als er für mehr Menschlichkeit in der Politik geworben hat. "Unangenehm aufgestoßen" sei der Hang des Niedersachsen, sich als "Opfer" zu sehen.

Und diese Passage sei "ganz schlimm", in der er eingestand noch im Präsidialamt zu lernen. Das Problem, so bemerkt man in der FDP, sei, dass eine solch umfassende Rechtfertigung "kommunikativ begleitet werden" müsse, um deren Erfolg zu sichern. Also rückhaltlose Bekenntnisse, Loyalitäts-Adressen. Doch ehrlicher Zuspruch für Wulff ist eher dünn gesät.

Nun ist klar, dass der gestrige Empfang der Sternsinger im Kanzleramt der Regierungschefin keinerlei Möglichkeiten bietet, dem Bundespräsidenten den Rücken zu stärken. Angela Merkel umkurvt in ihrer kurzen frei gehaltenen Rede jede Versuchung, obwohl das Sternsinger-Motto "Klopft an Türen, pocht auf Rechte" Raum für allerlei politische Anspielungen bietet. Weitere öffentliche Termine, wo sie Stellung zu Wulff beziehen kann, seien nicht geplant, beteuert das Bundespresseamt. Und so schwelt die Debatte um Wulff weiter.

Offen ansprechen will die Misere in den politischen Führungsetagen niemand. Dafür melden sich ehemalige Größen und die Hinterbänkler zu Wort. Vera Lengsfeld, Bürgerrechtlerin und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete, meinte, Wulff sei "nicht überzeugend" gewesen. Missfallen hat ihr vor allem die Neigung des Präsidenten, sich als "Opfer des Wühlens in seinem Privatleben" zu gerieren. Der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter zog schon mal vorsorglich die Grenzlinie. "Die CDU-Vorsitzende haftet für ihren Präsidenten." Und er fügt hinzu: "Die FDP wird sich nicht in diese Haftung nehmen lassen, sondern mit einer Stimme sprechen."

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