Nach den Anschlägen in Brüssel Albtraum und Chaos

BRÜSSEL · Weil die Behörden sich verzählten, ist in Brüssel Verwirrung um die Opferzahlen entstanden. Und am Sonntag störten Hooligans eine Gedenkveranstaltung am Börsenplatz.

 Rechtsradikale Hooligans stören eine Veranstaltung zum Gedenken an die Terroropfer auf dem Platz an der Börse.

Rechtsradikale Hooligans stören eine Veranstaltung zum Gedenken an die Terroropfer auf dem Platz an der Börse.

Foto: dpa

Diese Stadt durchlebt einen Albtraum. Als würde es nicht reichen, die Anschläge vom vergangenen Dienstag verarbeiten zu sollen, müssen die Brüsseler Einwohner seit Tagen ein beispielloses Chaos ihrer Behörden erleben. So wurde gestern die Zahl der Todesopfer auf 35 plus drei Selbstmord-Attentäter angehoben, nachdem es zuvor geheißen hatte, lediglich 28 Menschen seien am Flughafen und in dem zerstörten Metro-Zug ums Leben gekommen.

Ine Van Wymersch, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, teilte mit, sowohl das Krisenzentrum wie auch das zuständige Gesundheitsministerium hätten die Opfer an den Schauplätzen der Attentate gezählt, seien aber zu unterschiedlichen Angaben gekommen. Außerdem erlagen seit dem Dienstag vor einer Woche vier Personen ihren schweren Verletzungen.

Auch die Hoffnung, der flüchtige dritte Terrorist vom Flughafen sei gefasst worden, musste korrigiert werden. Der „Mann mit dem Hut“, der angeblich bei einer Razzia am Freitag verhaftet wurde und dessen Namen mit Faycal Cheffou angegeben wurde, sei an den Anschlägen nicht beteiligt gewesen, betonten gestern die Behörden. Für die Bewohner der belgischen Hauptstadt heißt das: Einer der Extremisten ist nach wie vor auf der Flucht.

Am Samstag glich Brüssel einer Geisterstadt. Dass die Straßen der City dermaßen leer gefegt waren, hat seinen Grund sicherlich nicht allein in den Schulferien. Viele Brüsseler fürchten, dass nach wie vor Terroristen in der Stadt unterwegs sein und weitere Gewalttaten verüben könnten. In dieser Atmosphäre sorgte die Nachricht, ein Wachmann des Atomkraftwerkes Tihange bei Lüttich sei erschossen und sein Zutrittsausweis entwendet worden, für helle Aufregung. Erst Stunden später dementierte die Staatsanwaltschaft einen Zusammenhang mit den Terroranschlägen.

Eine für Sonntag geplante Demonstration gegen den Terror wurde zwar abgesagt, dennoch kamen nach Angaben der Polizei rund 1000 Menschen zum zentralen Platz vor der Börse, wo Blumen, Kerzen und Transparente an die Opfer erinnern sollen. Die Veranstaltung eskalierte, als rund 450 offenbar alkoholisierte Hooligans heranstürmten und von der Polizei mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln vertrieben wurden.

„Belgische Hooligans. Wir sind hier zu Hause“, skandierten sie. Beobachter wollten nicht ausschließen, dass dieser Vorfall der Beginn einer breiten Rassismus-Diskussion sein könnte, die von nationalistischen Kräften angeheizt wird. Vor allem flämische Spitzenpolitiker hatten seit Dienstag mehrfach betont, die Integration muslimischer Jugendlicher in Belgien sei „gescheitert“.

Doch noch ist es die blanke Angst, die die Stadt fest im Griff hält. Dazu tragen die ständigen Razzien und Wohnungsdurchsuchungen bei. Allein am Sonntag rückten die Anti-Terror-Einheiten 13 Mal aus und verhafteten dabei mehrere Personen. Am gleichen Tag nahmen niederländische Polizisten einen 32-jährigen Franzosen in Rotterdam fest, der an den Attentaten in Paris beteiligt gewesen sein könnte.

So macht sich das dumpfe Gefühl breit, dass die Gefahr noch nicht vorüber ist, solange die Schlüsselfiguren noch nicht ins Netz gegangen sind. Auch eine Woche nach den Anschlägen hat die Regierung das Durcheinander nicht im Griff und trägt bisher wenig dazu bei, dass Brüssel endlich zur Ruhe kommen kann.

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