Nach Massaker in Afghanistan Angst vor einer Welle des Zorns

WASHINGTON · Das von einem US-Soldaten verübte Massaker in Afghanistan heizt die Abzugs-Diskussion weiter an.

 Ein Afghane betet für die Opfer des Massakers.

Ein Afghane betet für die Opfer des Massakers.

Foto: ap

Nach dem Amoklauf eines 38-jährigen US-Feldwebels in Afghanistan, bei dem 16 Zivilisten, darunter neun Kinder starben, wird in der Obama-Regierung intensiver als bislang die Frage einer vorzeitigen Truppenreduzierung diskutiert. Derzeit sind noch 90.000 GIs am Hindukusch stationiert. Bis September werden 22.000 zurückkehren. Die restlichen 68.000, so der Stand bisher, sollten bis zum vorgesehenen Abzug aller Kampftruppen 2014 im Land bleiben.

Nach unwidersprochenen Recherchen der "New York Times" wird nun erwogen, bereits Mitte 2013 bis zu 30.000 Soldaten nach Hause zu holen. Die Überlegungen gründen zum einen auf der rapide sinkenden Zustimmung in der US-Bevölkerung zum Afghanistan-Einsatz. Zum anderen machen sich vereinzelte republikanische Präsidentschaftskandidaten (Newt Gingrich, Ron Paul) für einen Abzug stark.

Auf der militärischen Seite begegnet man dem mit Skepsis. Tenor des Oberkommandierenden in Afghanistan, General John Allen: Die fragile Sicherheitslage und der noch mangelhafte Ausbildungsstand von afghanischer Armee und Polizei erforderten eine eher längere denn kürzere Präsenz.

Sicherheitsberater der Regierung räumen aber ein, dass durch die schweren Vorkommnisse der vergangenen Wochen (Leichenschändungen, Koran-Verbrennungen und jüngst das Massaker von Kandahar) eine neue Dynamik entstehen könne, die einen schnelleren Rückzug nahelege.

Weitere Tote befürchtet

Die USA rechnen in den nächsten Tagen und Wochen mit einer von den Taliban inszenierten Zornwelle, bei der es weitere amerikanische Tote geben könnte. Bilder, die sich im Wahljahr im Fernsehen nicht gut machen würden. Nach dem Amoklauf wuchsen gestern die Spannungen in Afghanistan.

Eine mit zwei Brüdern von Präsident Karsai besetzte Regierungsdelegation, die zur Untersuchung des Blutbads in den Panjwai-Distrikt gereist war, wurde nach CNN-Angaben beschossen. In mehreren Städten gab es Protestversammlungen gegen die zunehmend als Besatzer empfundenen Amerikaner.

US-Verteidigungsminister Leon Panettas Einschätzung, der bisher schweigende Täter müsse eventuell mit einer Anklage auf Todesstrafe rechnen, wird in Washingtoner Sicherheitskreisen als "öffentlicher Beschwichtigungsversuch" gewertet.

Auch Juristen in Washington halten das für unwahrscheinlich. Bedeutung könnte in einem Gerichtsverfahren erlangen, dass der Täter bei einem Verkehrsunfall im Irak 2010 nach offiziellen Angaben schwere Hirnverletzungen davontrug und trotzdem danach für dienstfähig erklärt wurde.

Die zuständige Abteilung in Lewis-McChord sorgte 2011 für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass die Diagnosen von rund 300 Soldaten mit schweren posttraumatischen Belastungsstörungen aus Kriegseinsätzen mutwillig abgeschwächt wurden, um Kosten für langfristige Therapien zu sparen. Ein ärztlicher Direktor wurde suspendiert, ein leitender Psychologe trat zurück.

Sollte der Massenmörder von Kandahar auch nur ansatzweise in die Kategorie der Falschbeurteilten fallen, dann, so ein Sicherheitsexperte, "hat die Armee ein gewaltiges Problem - sie hätte einen Psychopathen nicht früh genug erkannt und aus dem Verkehr gezogen".

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