US-Geheimdienst NSA Auf der Suche nach dem Super-Computer

WASHINGTON · Das "Laboratorium für physikalische Wissenschaften" am Greendmead Drive in College Park ist ein unauffälliges Bürogebäude, wie es im Speckgürtel der US-Hauptstadt dutzendfach geduckt auf der grünen Wiese steht.

 Computer der Gegenwart: Die gewaltigen Server im Google-Rechenzentrum in Mayes County, Oklahoma.

Computer der Gegenwart: Die gewaltigen Server im Google-Rechenzentrum in Mayes County, Oklahoma.

Foto: AP

Hier, so schreibt die "Washington Post" unter Berufung auf den ehemaligen Angestellten der National Security Agency (NSA), Edward Snowden, lässt der weltweit in Ungnade gefallene US-Geheimdienst an seiner schärfsten Waffe basteln: einem Super-Computer, der unter Ausnutzung der Quantenmechanik die unvorstellbaren Datenberge der NSA in Rekordzeit durchforsten und nahezu alle Verschlüsselungs-Technologien überwinden kann.

Nichts, schreibt der Autor und Snowden-Experte Barton Gellman, wäre dann mehr sicher vor dem Spähangriff der nur wenige Kilometer von College Park beheimateten NSA: keine Bank, keine Regierung, keine Behörde. Der einzelne Bürger sowieso nicht. Big Brother in XXL hoch zwei sozusagen. Aber was davon ist Zukunftsmusik und was im Zustand technologischer Frühreife?

Laut Unterlagen, die Snowden der Zeitung zur Verfügung gestellt hat, steht ein mit 80 Millionen Dollar finanziertes NSA-Forschungsprogramm ganz im Dienst der komplizierten Sache, über die der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman einmal sagte: "Wenn du denkst, du verstehst die Quantenmechanik, verstehst du sie nicht."

Ein gängiges Erklärungsmuster geht so: Im Gegensatz zu herkömmlichen Rechnerbausteinen in Computern, die nur einen Ladungszustand kennen (1 oder 0), sollen die kleinsten Bestandteile eines Quantencomputers in der Lage sein, verschiedene Informationen gleichzeitig abzubilden. Also: 1 = 0. Und 0 = 1.

Ziel des NSA-Programms "Penetrating Hard Targets" (in harte Ziele eindringen) ist die Schaffung dieser Siebenmeilenstiefel für das Lösen von komplexen Rechenaufgaben: Was einen herkömmlichen Computer, und sei er auch noch so leistungsfähig, unzählige Rechenschritte kostet, könnte ein Quantencomputer millionenfach schneller bewältigen. Binnen eines Wimpernschlages würde er gigantische Datenbanken nach einem Schlüsselbegriff durchsuchen können.

Genau das, was die NSA benötigt, seit sie zur Terror-Gefahrenabwehr nicht nur weltweit den Telefon- und Internetverkehr überwacht, sondern die Daten trillionenfach speichert. Sollten gewaltige Rechenleistungen künftig intelligenter bearbeitet werden können, wären Verschlüsselungsverfahren wertlos, die heute noch als sicher angesehen werden, warnen Kritiker. In der Kryptographie gilt ein Code als sicher, wenn er in einer sinnvollen Zeitspanne nicht entschlüsselt werden kann.

Gegenüber der "Washington Post" nannte der Forscher Scott Aaronson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston dieses Beispiel: Danach hätten Wissenschaftler 2009 fast zwei Jahre und Hunderte Rechner gebraucht, um die Primzahlen zu identifizieren, aus denen sich ein 768 Bit großer Schlüssel zusammensetzt. Um einen 1024-Bit-Schlüssel zu überwinden, der weltweit beim Online-Banking zum Einsatz kommt, bräuchte es, nun ja, rechnerisch 2000 Jahre.

Die NSA, überall Gefahren witternd, hat nicht so viel Zeit. Außerdem ist sie nicht allein. Zivile Wissenschaftsteams - auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz - beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema, das für Otto Normalcomputerverbraucher nach Science-Fiction klingt.

Im militärisch-wissenschaftlichen Komplex ist die Suche nach dem "Heiligen Gral" dagegen eine Konstante des Alltags; stets üppig finanziert aus den Etats von Pentagon oder CIA. Auf dem Weg, die digitalen Grundbausteine zu überwinden, soll die kanadische Firma D-Waves am weitesten sein. Sie hat bereits an Google und den Flugzeugbauer Lockheed Geräte ausgeliefert.

Was den Wissensvorsprung der NSA angeht, die alle Medienberichte dazu bisher unkommentiert ließ, gibt es nur Spekulationen. Frühestens in fünf Jahren sei mit Fortschritten zu rechnen, sagte Forscher Aaronson der "Washington Post" und stellte eine auch für Nicht-Quantenmechaniker plausible Vermutung an: Wenn die NSA den Super-Computer bereits hätte, dann müsste sie nicht Konzerne wie Microsoft und Google dazu zwingen, technische Hintertüren in ihre Programme einzubauen, durch die der Geheimdienst seine Schnüffel-Software einschleust.

Quantencomputer - Hoffnungsträger in der Computertechnik

Seit vielen Jahren suchen Wissenschaftler nach neuen Wegen in der Computertechnik. Die Bestandteile herkömmlicher Rechner werden immer leistungsfähiger und kleiner und stoßen irgendwann an ihre physikalischen Grenzen.

Der Quantencomputer ist eine von mehreren Alternativen, die Wissenschaftler seit Jahren erforschen, damit auch weiterhin der wachsende Bedarf an Rechenleistung gedeckt werden kann. Zudem könnten Quantencomputer heute kaum vorstellbare Rechenleistungen ermöglichen.

Bei herkömmlichen Computern nehmen die kleinsten Bestandteile (Bits) nach den Gesetzen der Physik jeweils den Zustand Null oder Eins ein. Beim Quantencomputer können die einzelnen, Qubit genannten Teilchen dagegen mehrere Zustände gleichzeitig darstellen.

Aufgrund der besonderen Eigenschaften in der Quantenmechanik sollen Computer künftig nicht nur schneller, sondern auch intelligenter große Rechenleistungen bearbeiten. Damit wären aber auch Verschlüsselungsverfahren überholt, die heute noch als sicher angesehen werden.

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