Politik in Großbritannien Abgeordnete verlassen Labour-Partei aus Protest

London · Sieben prominente Abgeordnete verlassen aus Protest gegen den Führungsstil von Jeremy Corbyn die Partei. Dass sich gleich mehrere Abgeordnete von einer Volkspartei abspalten, darf als Symptom der sich zuspitzenden Krise des britischen Parteiensystems bezeichnet werden.

 Forderte Politiker aller Couleur auf, sich der Gruppe anzuschließen: Chuka Umunna, einer der schärfsten Kritiker der Opposition.

Forderte Politiker aller Couleur auf, sich der Gruppe anzuschließen: Chuka Umunna, einer der schärfsten Kritiker der Opposition.

Foto: dpa

Noch bevor die Pressekonferenz zur „Zukunft der britischen Politik“ begann, zu der einige Labour-Abgeordnete kurzfristig eingeladen hatten, löste die Anzahl der Stühle auf der kleinen Bühne Spekulationen aus. Sieben standen da, plus ein Barhocker, weshalb sich die wartende Presse zu Vergleichen mit zerstrittenen Musikbands hinreißen ließ, die ihre Trennung verkünden. Würden tatsächlich sozialdemokratische Parlamentarier den Bruch mit ihrer Partei wagen, wie Beobachter seit Monaten mutmaßen? Und wenn ja, wer und wie viele würden gehen? Am Ende blieb der ominöse Barhocker unbesetzt, niemand wollte offenbar als Frontsänger agieren.

Vielmehr gaben die sieben Labour-Abgeordneten in persönlichen Erklärungen bekannt, dass sie am Morgen aus der Partei ausgetreten waren – aus Protest gegen den Führungsstil von Oppositionschef Jeremy Corbyn. Es war ein Paukenschlag in Westminster zum Start einer Woche, die eigentlich versprach, ruhiger zu werden. Labour sei „vom Politapparat der extremen Linken gekapert“ worden, begründete der Abgeordnete Chris Leslie die Entscheidung. Die Parlamentarier, allesamt Gegner des EU-Austritts Großbritanniens, verurteilten den Brexit-Kurs des Vorsitzenden Corbyn, der lange keine klare Position bezogen hat. Ein erneutes Referendum lehnt der Alt-Linke, der die EU stets als neoliberales Projekt verschmähte, außerdem ab.

Zu den schärfsten Kritikern des Schlingerkurses der Opposition gehört seit Langem Chuka Umunna, Befürworter einer zweiten Volksabstimmung. Nun zieht er Konsequenzen. Man wolle eine neue Bewegung formieren, sagte Umunna und forderte Politiker aller Couleur auf, sich ihnen anzuschließen. Die etablierten Parteien „können nicht den Wandel darstellen, da sie das Problem geworden sind“. Sie stellten eigene Interessen über das nationale Wohlergehen. Noch während die Pressekonferenz lief, veröffentlichte Jeremy Corbyn ein Statement und zeigte sich „enttäuscht, dass diese Abgeordneten sich nicht mehr in der Lage sehen, gemeinsam für jene Labour-Politik zu kämpfen, die bei der letzten Wahl Millionen inspiriert hat“.

Dass sich erstmals seit Jahrzehnten gleich mehrere Abgeordnete von einer Volkspartei abspalten, darf als Symptom der sich zuspitzenden Krise des britischen Parteiensystems bezeichnet werden. Während sich Labour unter Corbyn weit nach links entwickelt hat, gewinnen bei den konservativen Tories immer mehr die europaskeptischen Hardliner die Oberhand. In der Mitte ist vor allem seit dem EU-Referendum ein Vakuum entstanden. Die sieben Abgeordneten, die künftig als „Unabhängige Gruppe“ ihre Wähler im Unterhaus vertreten, appellieren an die „heimatlos“ gewordenen Briten.

Derweil ist der Brexit keineswegs der einzige Punkt, den die Rebellen anführten. Die Kritik muss niederschmetternd in den Ohren vieler traditioneller Labour-Anhänger klingen. Es handele sich mittlerweile um eine „institutionalisiert antisemitische“ Partei, monierte die jüdische Abgeordnete Luciana Berger, die seit Monaten intern von Corbyn-Anhängern beschimpft, eingeschüchtert und schikaniert werde. Sie habe sich unter diesen Bedingungen geschämt, weiter bei den Sozialdemokraten zu bleiben. Die Führung versage darin, den Antisemitismus in den eigenen Reihen anzugehen. Corbyn, der zum Linksaußen-Flügel gehört, sah sich aufgrund früherer Aussagen, Taten und Kontakte immer wieder dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt. Mike Gapes, seit 50 Jahren Labour-Mitglied, befand, Corbyn als Premierminister wäre eine Bedrohung für die nationale Sicherheit. Dieser stünde „auf der falschen Seite bei so vielen internationalen Belangen“ – ob es um Russland, Syrien oder Venezuela gehe.

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