Hilfsappell von Papst Franziskus Abschied von der Lethargie

ROM · Schon in frühen Zivilisationen fanden Flüchtende in Tempeln oder Heiligtümern Schutz vor Verfolgung. In den vergangenen Jahren kam das Kirchenasyl dem Widerstand einiger besonders gewissenhafter Christen gegen vermeintlich kaltherzige Bürokraten gleich, die Asylsuchende abschieben wollten.

 Papst Franziskus fordert, dass jede kirchliche Einrichtung mindestens eine Flüchtlingsfamilie aufnimmt.

Papst Franziskus fordert, dass jede kirchliche Einrichtung mindestens eine Flüchtlingsfamilie aufnimmt.

Foto: dpa

297 Fälle von Kirchenasyl zur Verhinderung von Abschiebungen sind in Deutschland registriert. Der Aufruf von Papst Franziskus am Sonntag auf dem Petersplatz hat eine andere Dimension. Er forderte, dass jede Pfarrei, jedes Kloster und jede kirchliche Einrichtung in Europa wenigstens eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen soll.

Der Papst hat mit diesem Aufruf indirekt auch auf eine immer wieder geäußerte Kritik reagiert. Aus Rom kämen bekanntlich viele Mahnungen, bemängelte etwa der Chef der italienischen Rechtspartei Lega Nord, Matteo Salvini.

Flüchtlinge hätte der Vatikan selbst allerdings keinen einzigen aufgenommen. Bislang rechtfertigte sich der Kirchenstaat mit seiner Zwergengröße (44 Hektar Staatsgebiet) und den von ihm gesteuerten weltweiten Aktionen im Kampf gegen Hunger und Elend.

Franziskus kündigte an, im Namen der beiden Kirchen auf Vatikanboden, Sankt Peter und Sankt Anna, würden nun je eine Flüchtlingsfamilie in Wohnungen der Vatikanstadt untergebracht.

Im Vergleich zu den Mitteln der katholischen Kirche, die über 20 Prozent des Immobilienbesitzes in ganz Italien mit einem Wert von mindestens 1000 Milliarden Euro verfügen soll, ist das freilich nur ein symbolischer Dienst. Viele Klöster, Seminare und Ordenshäuser stehen überdies leer.

In einigen Teilen der Welt hat die Kirche eine führende Rolle bei der Unterstützung von Migranten. Auch in Deutschland oder Italien gibt es längst viele etablierte kirchliche Hilfseinrichtungen. So stellte das Erzbistum von Genua jetzt 400 Flüchtlingen leerstehende Räume der Bistumsverwaltung zur Verfügung, im sizilianischen Syrakus beherbergte eine Pfarrei 1000 Asylbewerber.

Die systematische Aufnahme von Flüchtlingsfamilien durch katholische Institutionen in Folge des Papstaufrufes würde diese Dimension gleichwohl sprengen. Allein 130 000 katholische Kirchengemeinden gibt es in den EU-Staaten, käme dort jeweils eine vierköpfige Familie unter, wäre etwa eine halbe Million Menschen versorgt.

Ob sich die Forderung des Papstes auch verwirklichen lässt, bleibt fraglich. Schon jetzt meldeten Kirchenvertreter erste Zweifel bürokratischer Art an. Angesichts der strengen Rechtslage in Ungarn zeigte sich auch der Erzbischof von Esztergom-Budapest, Kardinal Péter Erdö, skeptisch. Über die Aufnahme von Asylsuchenden durch Pfarrgemeinden sagte er: "Es ist verboten. Wenn sie es dennoch täten, wären sie Menschenschlepper."

Auch interne Widerstände sind nicht zu unterschätzen. Will man Monsignore Raffaele Nogaro, dem emeritierten Bischof von Caserta, Glauben schenken, dann ist das größte Hindernis die Kirche selbst. Er behauptet, die katholische Kirche habe sich in "wohlhabender Bequemlichkeit" eingerichtet und sei aus dieser Lethargie nur schwer zu erwecken.

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