Antisemitismus in Frankreich Mord an Holocaust-Überlebender vor Gericht

Paris · Am Dienstag beginnt in Paris der Prozess um den Mord an der Jüdin Mireille Knoll. Die Tat wirft ein Schlaglicht auf den Antisemitismus in Frankreich.

 Frankreich hat mit rund 500.000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Europa.

Frankreich hat mit rund 500.000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Europa.

Foto: dpa/Jonas Walzberg

Auf den kurzen Erinnerungsvideos, die es von Mireille Knoll gibt, ist eine dezent geschminkte Rentnerin lächelnd mit einem Glas in der Hand zu sehen. Am 23. März 2018 wurde der halb verbrannte Leichnam der 85-Jährigen mit elf Messerstichen in ihrer Wohnung im zweiten Stock eines Pariser Sozialbaus entdeckt. Die mehrfache Oma war nicht reich, doch die beiden Männer, die als Täter in Frage kommen, hatten es auf ihre Schmuckstücke und ihr Scheckheft abgesehen.

Das Gespräch, das sie mit der Seniorin kurz vor deren Ermordung führten, soll sich um Geld gedreht haben. Um Juden und Geld, wie Alex C., einer der beiden Verdächtigen, laut Zeitungsberichten aussagte. Mireille Knoll war Jüdin und als Kind der Deportation in ein Vernichtungslager nur knapp entkommen.

Neben Alex C. muss sich ab Dienstag auch Yacine M. wegen der Gewalttat vor Gericht verantworten. Er kannte die an Parkinson erkrankte Knoll schon seit seiner Kindheit, denn seine Familie wohnte fünf Stockwerke über ihr. Wie eine Art Sohn habe sie ihn behandelt, berichteten Nachbarn nach der Tat. Yacine M., ein Muslim, verbrachte mehrere Monate wegen sexueller Gewalt gegen die Tochter von Knolls Pflegerin im Gefängnis. Dort lernte er Alex C. kennen, den er am Tag der Tat anrief, um ihm eine „Geldsache“ anzubieten. Was danach passierte, ist bis heute nicht zu entziffern. Die beiden Männer beschuldigten sich gegenseitig des Mordes an der Witwe und korrigierten ihre Aussagen mehrfach.

Dass Yacine M. sich im Gefängnis von Fleury-Mérogis radikalisierte, steht in der Anklageschrift. Vor der Tat schaute er sich zudem antisemitische Websites an. Alex C. will aus dem Mund von Yacine M. den Ruf „Allahu Akbar“ gehört haben. Nach der Tat legten die beiden Männer Feuer, um Spuren zu verwischen. Sie flüchteten sich zur Mutter von M., die wohl auch die Klinge der Tatwaffe abwischte. Das 32 Zentimeter lange Küchenmesser wurde später in der Wohnung von M.’s Bruder unter der Waschmaschine gefunden, wie die Zeitung „Le Parisien“ berichtete.

Antisemitisches Motiv anerkannt

Auch wenn Yacine M. einen antisemitischen Hintergrund abstreitet, hielten die Ermittlungsrichter im vergangenen Jahr das religiöse Motiv des Verbrechens fest. „Mord an einer verletzlichen Person, begangen aufgrund der Religion des Opfers“, lautet die Anklage, für die den beiden Männern lebenslange Haft droht. Nach der Tat gingen zehntausende Menschen in Paris und anderswo gegen Rassismus und Antisemitismus auf die Straße. Sogar die Rechtspopulistin Marine Le Pen, deren Vater mehrfach wegen Antisemitismus verurteilt worden war, und der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon schlossen sich dem Schweigemarsch an.

Bereits ein Jahr vor Knoll war in Paris eine jüdische Rentnerin ermordet worden. Sarah Halimi wurde im April 2017 von ihrem Angreifer nachts in ihrer Wohnung im Pariser Stadtteil Belleville misshandelt und dann mit dem Ruf „Allahu Akbar“ aus dem Fenster des dritten Stocks geworfen. Ein Berufungsgericht stufte den psychisch kranken Täter als nicht schuldfähig ein – eine Entscheidung, die das Kassationsgericht trotz heftiger Protest der jüdischer Organisationen in diesem Frühjahr bestätigte.

Frankreich hat mit rund 500.000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Europa. Allerdings haben zahlreiche Jüdinnen und Juden in den vergangenen Jahren nach einer Reihe antisemitischer Gewalttaten das Land verlassen. Allein 2019, im letzten erfassten Jahr, wurden 687 antisemitische Angriffe gezählt.

Im Frühjahr wurden die Proteste gegen das Impfzertifikat von antisemitischen Tönen begleitet. So machte in Metz eine rechtsextreme Demonstrantin auf einem Plakat Jüdinnen und Juden für die Corona-Pandemie verantwortlich. Die Autorin, mit der sich andere solidarisierten, wurde vergangene Woche wegen öffentlichen Aufrufs zum Rassenhass zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

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