Kommentar zur Rolle Europas nach Trumps Verweigerung Aufwachen

Meinung · Für Europa ist der Störenfried Donald Trump an der Spitze der Weltmacht USA eine Chance. Die Gelegenheit für einen Neustart ist da, kommentiert GA-Korrespondent Holger Möhle.

 Geduldsfaden gerissen: Kanzlerin Angela Merkels Verärgerung über US-Präsident Donald Trump sorgt auch international für Aufsehen.

Geduldsfaden gerissen: Kanzlerin Angela Merkels Verärgerung über US-Präsident Donald Trump sorgt auch international für Aufsehen.

Foto: dpa

Europa muss aufwachen. Donald Trump meint es ernst. Die alten Bekenntnisse zur transatlantischen Partnerschaft, das Bekenntnis zu gemeinsamer weltpolitischer Verantwortung im Kreis der G 7 zählen für ihn nicht mehr. Der US-Präsident hat seine erste Auslandsreise im Amt absolviert: Riad, Jerusalem, Bethlehem, Rom, Brüssel, Taormina.

Bei seinen Auftritten bei der Nato und bei der Gruppe der sieben großen westlichen Industriestaaten (G7) hat er dabei einen politischen Scherbenhaufen zurückgelassen. Niemals zuvor hat sich ein US-Präsident derart taktlos und rüpelhaft bei Verbündeten und Partnern des Westens vorgestellt. Für den G20-Gipfel in sechs Wochen in Hamburg besteht wenig Hoffnung, einen geläuterten, in weltpolitischer Verantwortung denkenden US-Präsidenten zu erleben.

Die Europäer müssen ihre Lektion daraus lernen, am besten schnell. Die USA unter Trump werden sich von Europa entfernen. Trump setzt auf seine eigene Agenda. Beistandspflicht, Bekenntnis zu Artikel fünf des Nordatlantikvertrages, Klimaschutzabkommen von Paris, weniger Ausstoß von Treibhausgasen, Umstieg auf ressourcenschonende Technologien, Flüchtlingspolitik, Entwicklungshilfe – all das kommt darin nicht vor. America first. Das gilt für ihn. Er hat sein Land gespalten wie selten zuvor ein US-Präsident. Jetzt treibt er auch einen Keil in die amerikanisch-europäische Partnerschaft.

Für Europa wiederum ist der Störenfried an der Spitze der Weltmacht USA gleichwohl eine Chance. Gerade in einer Phase, in der sich die Europäische Union in einer Krise befindet, kann Trumps unverhohlenes Desinteresse an einem Bündnis mit Europa auch ein Impuls sein, sich endlich auf seine Stärken zu besinnen. Die Gelegenheit für einen Neustart ist da, und es spricht wahrlich wenig dagegen, wenn sich Europa künftig stärker selbst um seine eigene (europäische) Sicherheit kümmert.

Auf die Achse Berlin-Paris wird es mehr denn je ankommen. Mit dem neu gewählten Präsidenten Emmanuel Macron muss Bundeskanzlerin Angela Merkel mutig vorangehen. Macron ist zwar noch in der Phase vor der ersten Bewährung. Doch erst an einem Tisch mit Trump und dann Auge in Auge mit Wladimir Putin in Versailles – solche Treffen sind ein echtes Stahlbad für einen jungen französischen Präsidenten.

Dass Merkel nun erst den indischen Premierminister Narendra Modi und am Mittwoch den chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang empfängt, passt ins Bild: Die Bundeskanzlerin braucht (neue) Verbündete. Es gibt trotz allem keinen Grund, die transatlantische Partnerschaft aufzukündigen, in der Verlässlichkeit bislang immer eine Tugend war. Die USA und Europa werden einander weiter brauchen. Und Europa kann zumindest mit einer Gewissheit leben: Es wird auch wieder eine Zeit nach Trump kommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort