Parlamentswahlen in den Niederlanden Beschränktes Programm des Rechtspopulisten Wilders

Den Haag · Das politische Angebot des Rechtspopulisten Geert Wilders für die Parlamentswahlen am 15. März ist beschränkt. Noch liegt er in Umfragen vorn, doch die Zustimmung geht zurück.

 Der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte.

Der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte.

Foto: picture alliance / Julien Warnan

Dieser Auftritt in Spijkenisse war gut vorbereitet worden. Der Ort im Schatten der gewaltigen Kräne des Rotterdamer Hafens gilt als Hochburg für ihn: Geert Wilders, 53 Jahre alt, Chef der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV). Für manche ist er der Hoffnungsträger dieser niederländischen Wahl am 15. März, für andere ein Rassist reinsten Wassers. „Ich konnte ihm schon mal die Hand schütteln“, erzählt der 64-jährige Ad Stoutjesdik, der auf dem Markt der Kleinstadt Handy- und Computerzubehör anbietet. Den Abend, als Wilders hier auftrat, hatte er mit vorbereitet. Holländische Gulden habe man gedruckt und verteilt, verziert mit der typischen wasserstoffblonden Haarpracht des Politikers. Ein offenes Zeichen für Wilders' Ankündigung, die Gemeinschaftswährung abzuschaffen und ein Referendum über den Verbleib des 17 Millionen Einwohner großen Landes in der EU herbeizuführen.

Aber an diesem Abend vor einigen Wochen spielte Europa keine große Rolle, sondern der Islam. Obwohl er erst kurz zuvor wegen früherer rassistischer Äußerungen verurteilt worden war, sprach er hier in Spijkenisse über den „marokkanischen Abschaum auf den Straßen“. Kündigte an, dass er den „Koran verbieten“ lassen werde. Sämtliche muslimische Schulen und Einrichtungen werde er schließen lassen, meinte der PVV-Chef. Die Grenzen wolle er dichtmachen.

Es ist ein Auszug aus dem sogenannten Wahlprogramm der Wilders-Partei, das er selbst und alleine geschrieben hat. Es umfasst genau eine Din-A4-Seite und wurde via Twitter verteilt. „Sie lassen doch zu, dass unser Land islamisiert wird“, sagt auch die 34-jährige Mareike Breuker, die auf dem Markt ihren Obststand hat, mit Blick auf die amtierende Regierung. „Ein Glück, dass es Wilders gibt, der wird das zu verhindern wissen.“ An diesem Februarabend schien die Welt des Rechtspopulisten, den viele wegen seiner Frisur auch den „Trump der Niederlande“ nennen, noch in Ordnung. Umfragen prophezeiten ihm einen Stimmenanteil von rund 23 Prozent in der 150 Sitze umfassenden Parlamentskammer. Genug, um alle anderen zu schlagen. Aber nicht ausreichend, um zu regieren.

Denn das ist absehbar: Bis auf zwei unbedeutende Splittergruppen will niemand mit Wilders an einem Kabinettstisch sitzen. Auch alle Versuche einzelner Vertreter der rechtsliberalen Regierungspartei VVD von Ministerpräsident Mark Rutte (50), sich in Richtung Wilders zu öffnen, scheiterten. „Null Prozent, Geert. NULL Prozent“, twitterte Rutte erst vor wenigen Tagen, um seinem Rivalen zu zeigen: Mit ihm wird niemand ein Bündnis eingehen. Stattdessen bezog der Premier selbst in großflächigen Zeitungsanzeigen deutlich gegen Ausländer Stellung. „Benehmt euch normal oder verlasst das Land“, lautete seine Botschaft. Die Deutlichkeit wirkte. Ende Februar war die Zustimmung zu Wilders drastisch gesunken – auf nur noch 17 Prozent.

„Zwei Millionen Wähler fürchten, dass ihre Stimme ohne Bedeutung sein könnte“, mutmaßen Wahlforscher, weil der Rechtspopulist keine Regierungskoalition zustande bringt. An eine Kehrtwende wagt selbst im Lager des Islamhassers niemand mehr zu glauben. Zumal der inzwischen weder Interviews gibt noch Wahlkampfauftritte wahrnimmt. Der Grund: Ein Mitglied seines Personenschutzes mit marokkanischen Wurzeln wurde vor wenigen Tagen unter dem Verdacht festgenommen, die Termine des Rechtspopulisten an kriminelle Banden weitergegeben zu haben. „Ich bin verunsichert“, twitterte Wilders. Ob das tatsächlich so ist, weiß niemand. Der niederländische Polizeichef Erik Akkerboom sagte jedenfalls: „Die Sicherheit des Politikers ist niemals gefährdet gewesen.“ Geschürte Terrorangst als Wahlkampfkalkül?

Dabei beherrschen Wilders und das Ausländerthema nur auf den ersten Blick die niederländischen Wahlen. „Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft“, beschreibt der Politologe André Krouwei von der Universität Amsterdam die Stimmungslage. Das scheint überraschend. Die Niederlande können mit einer Arbeitslosenquote von 5,4 Prozent punkten. Das Wachstum liegt deutlich über zwei Prozent. Statistisch gesehen sind unsere Nachbarn acht Prozent reicher als die Bundesbürger – die Niederlande gelten als Vorzeigeland der Eurozone. Doch diese Daten wurden mit bitteren Einschnitten in die soziale Landschaft erkauft. Die Abschaffung des früheren staatlichen Gesundheitssystems, das durch ein privates ersetzt wurde, hat viele Bewohner getroffen. So stieg die Selbstbeteiligung bei den Arztkosten von 150 Euro im Jahr 2008 auf mittlerweile 385 Euro in diesem Jahr. Geblieben ist kaum mehr als eine Grundsicherung.

Die Mehrwertsteuer wurde erhöht, das Renteneintrittsalter auf 67 angehoben. Zuschüsse für Studenten und Behinderte strich die Regierung zusammen. Der Immobilienmarkt kollabierte – und das in einem Staat, in dem zwei von drei Einwohnern ein privates Eigenheim besitzen. In Großstädten wie Amsterdam und Den Haag liegt die Armutsquote zwischen 13,4 und 14,4 Prozent. Früher hatten 57 Prozent der Menschen einen sicheren Job, heute sind es noch 30 Prozent – eine Folge der Liberalisierung des Arbeitsmarktes.

Während die Sozialausgaben sinken, stiegen die Ausgaben für Polizei und Justiz um rund 700 Millionen Euro in den zurückliegenden zwei Jahren. Und obwohl viele über einen angeblich zu laschen Umgang mit Zuwanderern schimpfen, gilt das niederländische Asylsystem als das schärfste Europas. Wer nach einem abgelehnten Aufnahmegesuch länge als 28 Tage bleibt, fliegt raus. Wer nicht abgeschoben werden kann, erhält keinen Cent an staatlicher Unterstützung. Doch während die rechtsliberale Regierungspartei von Rutte für diesen Kurs mit nur geringen Abstrichen fast schon honoriert werden dürfte, stehen die Sozialdemokraten als bisheriger Koalitionspartner offenbar vor einem Desaster. Ihnen werden noch höchstens acht Prozent vorhergesagt. Ob sie danach noch an einer Regierung beteiligt sein werden, ist offen – und damit übrigens auch die politische Zukunft von Jeroen Dijsselbloem (50), bisher Finanzminister und im Nebenamt Chef der Eurozone.

Den Haag, an einem Samstagmorgen im Februar. Hier hat die Regierung ihren Sitz. An diesem Vormittag reihen sich die Wahlstände der Parteien in der City aneinander. Überall wird diskutiert und gestritten. Raymon (27) kündigt an, dass er sich von Wilders abwenden werde. „Er unterstützt Trump und will, dass wir aus der EU austreten. Das ist nicht mehr meine Partei“, sagt er. Gleich nebenan erzählt die 70-jährige Marianne Maaschalkerweed, sie habe bisher immer die Christdemokraten gewählt. Jetzt tendiere sie zu 50Plus, einer Partei, die die Interessen der Rentner vertritt, aber Wilders nahesteht. Wieder ein paar Meter weiter schart ein Abgeordneter der linksliberalen D66 Fans um sich, als er durch ein Megafon ruft: „Wir dürfen unser Land nicht länger denen überlassen, die uns in Verruf bringen.“ Ein Seitenhieb auf Wilders. Auch das ist ein Problem der niederländischen Politik. Bis zu 15 Parteien können im Parlament vertreten sein. Mindestens vier oder fünf sind wohl dieses Mal nötig, um eine stabile Mehrheit zu finden. Die Koalitionsverhandlungen dürften Wochen dauern. Selbst als Wahlsieger kommt man in diesem Staat nicht automatisch an die Macht.

Unsicher erscheint derzeit eigentlich alles, weil in den letzten Februartagen 77 Prozent der 13 Millionen Wähler angaben, noch nicht zu wissen, für wen sie stimmen. Die Verunsicherung wird noch zusätzlich durch eine Studie geschürt, die das Parlament in Auftrag geben hat. Zwar sollen die Ergebnisse erst nach dem Urnengang vorliegen. Aber allein die Fragestellung sorgt für heftige Diskussionen: Hilft der Euro den Niederlanden oder schadet er?

Im Visier haben die Experten vor allem die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Dass erste Rentner bereits Abstriche an ihrer Betriebsrente hinnehmen mussten, weil EZB-Chef Mario Draghi so stur an den niedrigen Zinsen festhält, steht fest. Das Analysehaus Sentix fand heraus, dass 4,25 Prozent der Investoren eine Wahrscheinlichkeit für ein Ausscheren des Landes aus dem Euro sehen.

Das klingt nicht viel. Allerdings betrug diese Quote lange Jahre weniger als ein Prozent. Aber darüber wird am 15. März ja auch nicht abgestimmt – zumindest nicht direkt. Stattdessen dreht sich weiter vieles um Ausländer, Einwanderer und den Islam sowie ein landesweites Burka-Verbot. Obwohl es offiziellen Statistiken zufolge nur höchsten 100 Burka-Trägerinnen in den Niederlanden gibt.

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