Papst-Wahl Besinnliches Schaulaufen der "papabile"

Rom · Ist das der Blick des künftigen Papstes? Gütig, wach und irgendwie hintergründig. Die Brille ist auf der Nase weit hinunter gerutscht, bei hochgezogenen Augenbrauen versuchen die Augen des Kardinals, über den Rand der Lesebrille hinaus zu sehen.

Odilo Pedro Scherer aus Brasilien gilt als Kandidat der Kurie.

Odilo Pedro Scherer aus Brasilien gilt als Kandidat der Kurie.

Foto: AFP

Langsam bewegt er seinen großen Kopf mit der Mitra nach links und rechts, als letzter in der Prozession schreitet er durch die Kirche. Erst segnet er die Gläubigen, später verspritzt er mit seiner rechten Hand Weihwasser.

Alles dreht sich um die "papabili" in diesen Tagen in Rom. Das ist die Handvoll Kardinäle, denen die besten Chancen für die Nachfolge Benedikt XVI. eingeräumt werden. Die meisten von ihnen haben am Sonntag vor dem Konklave-Beginn noch einmal die Messe in ihren römischen Titelkirchen gefeiert, die dazu für eine gute Stunde aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht sind. Viele Journalisten sind gekommen.

Fotografen und Kamerateams erwarten die Kardinäle bereits bei ihrer Ankunft und zeichnen drinnen jede Bewegung auf. Vor jeder Messe muss ein Assistent daran erinnern, dass es sich nicht um eine Pressekonferenz handelt, sondern um eine liturgische Feier. Dann geht es trotzdem unter dem Klicken Dutzender Fotoapparate los.

Es gibt Menschen, die haben jahrelang keine Kirche von innen gesehen und besuchen an diesem Tag gleich mehrmals die Messe. Es ist ein besinnliches Schaulaufen, das den letzten Sonntag vor dem Konklave prägt. "Gott hat schon gewählt", sagt Kardinal Christoph Schönborn, der Erzbischof von Wien bei seinem Gottesdienst in der Titelkirche Gesù Divino Amore am Rand des Stadtviertels Trastevere. Er ist der Mann mit dem gütigen Blick und der Professorenbrille.

Sein Italienisch ist deutsch gefärbt, aber es klingt viel weicher als bei seinem Lehrer Joseph Ratzinger. Er setzt die Worte genau, korrigiert sich, wenn nötig. Er wirkt kundig und nahbar zugleich. Er könnte gut der Welt-Pastor sein, den sich viele wünschen. "Ein Mann des Evangeliums" soll der neue Papst in erster Linie sein, sagt Schönborn am Ende der Messe. Er selbst ist wohl so einer.

Das Rätselraten über den künftigen Papst ist müßig, rein optisch kann man sich diese grauhaarigen Herren alle ganz gut in der weiße Soutane vorstellen. Aber die innere Dynamik eines Konklave ist weitgehend undurchschaubar. Sogar die 115 wahlberechtigten Kardinäle selbst wissen nicht genau, was passiert. "Keine Ahnung, wir brauchen erst ein paar Wahlgänge, um zu verstehen", sagt Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon.

Vielleicht läuft schnell alles auf einen Kandidaten zu, vielleicht blockieren sich aber auch zwei viel Gewählte gegenseitig und es kommt zu einer Überraschung. Schönborn würde als solche gelten, schließlich steht er der Kurie bekannt kritisch gegenüber. Aus dem Vorkonklave wurde vor allem die Unterstützung zweier Kandidaten kolportiert. Der eine, der Mailänder Erzbischof Angelo Scola, sorgt in der Basilika Santi Apostoli für einen Medienrummel, wie ihn sonst nur die lokalen Fußballstars in irgendwelchen Nachtclubs auslösen.

In seiner nüchternen Predigt konzentriert er sich auf das Wesentliche und schlägt den weltkritischen Ton Benedikts an. Weil der angesehene Theologe und Ratzinger-Schüler Scola bei einer der letzten Synoden eine komplizierte und schwer verständliche Rede hielt, gilt er manchen nun als zu verkopft.

Scola ist Italiener, dennoch unterstützen wichtige Exponenten der italienisch geprägten Kurie einen anderen Kardinal. Odilo Pedro Scherer, Erzbischof von Sao Paolo, wirkt auf den ersten Blick sanft, etwa wenn er bei der Messe in San Andrea al Quirinale auf seinem Portugiesisch gefärbten Italienisch den "spiritu santu" herbeiruft. Seine linearen, etwas eckigen Gesichtszüge passen dann aber doch besser zu der Tatsache, dass er der Kandidat der Kurie, also des hermetischen Verwaltungsapparats der Kirche ist.

Der Brasilianer, dessen Vorfahren Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Saarland auswanderten, spricht engagiert und gestikuliert expressiv. Theologisch und pastoral wirkt seine Predigt über das Gleichnis vom verlorenen Sohn aber wenig inspiriert. Nach dieser Messe zu urteilen, ist er eher ein Managertyp. Die Agenturen verbreiten später gnadenlos die Tatsache, dass Scherer beim Abendmahl die Hostie aus der Hand gerutscht ist.

Die Kriterien der 1,2 Milliarden Katholiken für den nächsten Papst sind andere als die der 115 Kardinäle, die einen speziellen Blick auf das Innenleben der Kirche haben und sich untereinander besser kennen. So wirkt es, als ob jede Art von Extremismus eher ein Hindernis bei der Wahl sein könnte.

Ein Menschenfänger wie der beliebte US-Kardinal Sean Patrick O'Malley (Boston) oder joviale Typen wie Timothy Dolan (New York) könnten auf das konservative Gremium einen verstörenden Eindruck machen. Auch die Frage, ob es nicht Zeit für einen Papst aus Afrika wäre, ist wohl eher ein Medienphänomen. Wenn nicht alles täuscht, sind es eher die weniger lauten Typen, die Chancen haben könnten. Zu denken ist etwa auch an den Kanadier Marc Ouellet oder eben an den Österreicher Schönborn.

Nach der Messe, die im Applaus endet, empfängt der angesehene Kardinal aus Wien in der Sakristei. Ein Kind will Details zu seinem vergoldeten Kreuz auf seiner Brust wissen, geduldig erklärt Schönborn alles. Zum Schluss beantwortet der Kardinal den Journalisten noch ein paar Fragen. Er hoffe auf ein kurzes Konklave, "das hoffen wir alle", sagt er. Und er sagt, dass es "nahezu übermenschliche Anforderungen" sind, die an den neuen Papst gestellt würden.

Die Wahl ist der Versuch der Quadratur des Kreises. Gesucht wird ein Kandidat, der allen anderen 114 Kardinälen gefällt, unter ihnen herausragt, dabei nicht aneckt und doch die Kirche voran bringt. Vielleicht hat er einen milden Blick und Augen, die die Weite jenseits seines Brillengestells suchen. Die Rückfahrkarte nach Wien hat Christoph Schönborn jedenfalls noch nicht gelöst.

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