Misereor-Studie zu Plantagen Bitterer Tee

BANGKOK · Misereor: Anzahl der Plantagen nimmt weltweit zu. Die Arbeitsbedingungen verschlimmern sich, Mangelernährung bei Arbeitern ist die Regel.

 Die Idylle trügt: Einen Tag benötigt eine Pflückerin, um nur ein Kilo Tee zu ernten. Und vier Kilo frisch gepflückten Tees werden benötigt, um ein Kilo fertigen Tee zu gewinnen.

Die Idylle trügt: Einen Tag benötigt eine Pflückerin, um nur ein Kilo Tee zu ernten. Und vier Kilo frisch gepflückten Tees werden benötigt, um ein Kilo fertigen Tee zu gewinnen.

Foto: dpa

Vor der Eingangstür stapeln sich unter den Arkaden des Sundarnagar-Markts in Indiens Hauptstadt Delhi die Kisten mit den exotischen Namen, bei denen Teeliebhabern das Wasser im Mund zusammenläuft. In dem kleinen Laden mischt sich der Duft getrockneter Teeblätter mit dem Geruch von Druckerschwärze auf den umherliegenden Tageszeitungen. "Darjeeling Tee von Makaibari für Rekordsumme von 1850 US-Dollar pro Kilo verkauft", lautet eine Schlagzeile. Der Feinschmeckerkult um Tee überwindet seine bisherigen Grenzen.

Auf Plantagen, auf denen in aller Welt Millionen von Pflückern Tee ernten, herrschen freilich brutale Arbeits- und Lebensbedingungen wie eh und je. "Mangelernährung ist in den meisten Teeanbaugebieten die Regel", sagt Benjamin Luig, Landwirtschaftsreferent bei dem Hilfswerk Misereor auf der Grundlage einer neuen Studie seiner Organisation mit dem Titel: "Hunger ernten - Plantagenarbeiter und das Recht auf Nahrung". Luig weiter: "Die Politik ignoriert die Situation von Plantagenarbeitern und betrachtet Plantagen als Relikt aus der kolonialen Vergangenheit. Das Gegenteil stimmt. Mit großflächigen Investitionen wie bei Palmöl und Zuckerrohr breiten sich Plantagen weiter aus."

Wenn die malerischen Teegärten auf den Hügeln von Darjeeling oder Assam im Nordosten Indiens, im afrikanischen Malawi oder auf Java in Indonesien und im Hochland von Sri Lanka als Beispiel dienen, steht den Arbeitern eine üble Zukunft bevor.

Die 200 Millionen Menschen, die gegenwärtig in Plantagen arbeiten, sind laut Misereor "chronisch unterernährt". "In allen regionalen Teeanbaugebieten", so erläutert die Hilfsorganisation, die ihre Studie gemeinsam mit der "International Union of Food" (IUF) und dem Heidelberger Fian-Institut veröffentlichte, "liegt der Anteil nachweislich mangelernährter Kinder bei 30 Prozent." Zumindest in Indien und Sri Lanka fallen sie deshalb im Straßenbild sofort auf. Sie sind kleiner als ihre Altersgenossen.

Die Lage ist "so pervers", heißt es in der Studie, "dass sogar die Teeverpackungsindustrie wegen der Unterernährung besorgt ist." In Sri Lanka etwa hätten zusätzliche Rationen zu besseren Pflück-Ergebnissen geführt. Aber in der indischen Teeindustrie - über die Verhältnisse im Nachbarland China dringen fast keine Informationen nach draußen - gelten immer noch Gesetze, die aus der britischen Kolonialzeit stammen könnten. "In Indonesien liegen die Löhne selbst unter Einschluss von Sachleistungen deutlich unter dem Existenzminimum", sagt Misereor, "in Assam ohne Sachleistungen deutlich unter der Armutsgrenze." Rund 2,2 Millionen Menschen sind in den 800 Teegärten des indischen Bundesstaats beschäftigt. Rund 600 Millionen Kilogramm der indischen Jahresproduktion von einer Milliarde Kilogramm stammen aus Assam.

Unter Sachleistungen für die Teepflücker fallen Selbstverständlichkeiten wie Unterkunft. Die Arbeiter müssen in Lebensmittelläden einkaufen, die zu den Plantagen gehören. In Schnapsläden fließt der Alkohol grenzenlos. Denn je mehr die Arbeiter trinken, umso mehr verschulden sie sich und müssen dann auf Jahre ihre Arbeitskraft verpfänden.

"Die Sahibs, wie sich die Bosse anreden lassen, behandeln die Arbeiter wie ihre Sklaven", beklagt Dheeman Bhattachaya, der einen Teil seiner Jugend in Assams Teegärten verbrachte, in einem Brief an die "Times of India", "ihre Löhne sind lächerlich niedrig, ihre medizinische Versorgung besteht aus einem leeren Gebäude und die subventionierten Nahrungsrationen sind nicht mal gut genug für Tiere."

Tatsächlich liegen laut einer Grafik in der Misereor-Studie die Arbeitskosten der Teepflücker bei etwa einem Prozent des Verkaufserlöses. Angesichts dieser Ausbeutung sind bei Konflikten viele Plantagenbesitzer ihres Lebens nicht mehr sicher. "Wir mussten wegen eines Arbeitskampfs die Plantage schließen", erklärte Shantanu Kejriwal im August, nachdem er seinen weltberühmten Jungpana Teegarten an den Hängen der Kurseong Region in Darjeeling dichtgemacht hatte. Eine Gewerkschaft verlangte mehr Mitbestimmung für die 260 Arbeiter. Kejriwal, dessen Familie die 1899 von dem Briten Henry Lennox gegründete Teeplantage vor einem halben Jahrhundert übernommen hatte, wollte keinen Kompromiss eingehen.

Seit Ende 2012 Mridul Battacharjee, der Besitzer der Konapathar-Plantage in Assam, gemeinsam mit seiner Ehefrau von erzürnten Arbeiter bei lebendigem Leib in ihrer Villa verbrannt wurde, geht unter Indiens Teepflanzern die Angst um. Battacharjee war berüchtigt dafür, mit seiner Pistole herumzufuchteln. Vor ein paar Jahren erschoss er zudem den 14-jährigen Sohn eines Arbeiters. Bidyananda Barkakoty, der Sprecher der "North Eastern Tea Association" verlangt mehr Schutz: "Die Sicherheitskräfte müssen schnell reagieren."

Denn bessere Löhne wollen oder können die Plantagenbesitzer nicht zahlen. "Für die Produzenten ist das Teegeschäft wegen steigender Energiepreise und der Abwertung des US-Dollar schwieriger geworden", heißt es in der Misereor-Studie, "die Beschaffungspreise der Händler und der großen, die Teeverpackung kontrollierenden Konzerne sind gesunken." 80 Prozent des Handels werden gegenwärtig von den Konzernen Unilever, Tata und Twinings beherrscht.

Manche Plantagenbesitzer lassen ihre Teegärten deshalb einfach im Stich - samt den dort hausenden Bewohnern. In der Bundapani-Plantage in West-Bengalen verhungerten daraufhin zwischen Juli 2013 und Mitte 2014 29 Menschen. Im "Red Bank Tea Garden" von Darjeeling kamen seit Oktober 2013 32 Menschen um. Besucher berichteten einer katastrophalen Ernährungslage.

Nicht einmal Zertifizierungsorganisationen wie Rainforest Alliance, Ifoam and Utz änderten bislang etwas an der skandalösen Realität. "Sie legen vor allem Wert auf Umweltschutz", sagt ein Kenner der Szene, "Arbeitsbedingungen und Löhne interessieren sie kaum." Selbst wenn sie anders wollten hätten sie wahrscheinlich nur geringe Erfolgsaussichten.

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