Anschlag in Frankreich Blutiges Ende der Tage des Terrors

Auf die Wahnsinnstat folgte die Wahnsinnsjagd. Und ein stunden-, ja tagelanger Nervenkrieg zwischen Einsatzkräften und den beiden Brüdern Chérif und Said Kouachi, die am Mittwoch ein Blutbad mit zwölf Toten in der Pariser Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" angerichtet hatten.

 Schauplatz des Schreckens: Sicherheitskräfte vor dem Supermarkt im Osten von Paris, in dem eine Geiselnahme stattfand.

Schauplatz des Schreckens: Sicherheitskräfte vor dem Supermarkt im Osten von Paris, in dem eine Geiselnahme stattfand.

Foto: dpa

"Die sind zu allem bereit", warnten die Fahnder. Am späteren Nachmittag starben die Terror-Brüder bei einem Sturmangriff französischer Elite-Einheiten. Eine Geisel, die sie in ihrer Gewalt hatten, konnte ersten Erkenntnissen zufolge gerettet werden.

Nach ihrer Flucht aus der Hauptstadt, nach Schusswechseln und dem Überfall einer Tankstelle hatten sich die schwer bewaffneten Männer in einer Druckerei im Gewerbegebiet der Gemeinde Dammartin-en-Goële nordöstlich von Paris verschanzt. Weiträumig wurde die Gegend abgesperrt, Helikopter überflogen das Gebiet. Den 8000 Bewohnern schärfte man ein, ihre Häuser nicht zu verlassen, die Kinder wurden aus den Schulen evakuiert. "Es fühlt sich an wie im Kriegsgebiet", schilderte ein Zeuge aus dem Ort.

Terror herrschte zugleich auch am östlichen Stadtrand von Paris. Dort schoss gegen ein Uhr mittags ein bewaffneter Mann in einem jüdischen Lebensmittelladen um sich und brachte mehrere Menschen in seine Gewalt, darunter offenbar auch Kinder. Der Täter, der 32-jährige Amedy Coulibaly, hatte bereits am Donnerstagmorgen im Pariser Vorort Montrouge eine Polizistin erschossen und einen weiteren Beamten verletzt. Er wurde ebenfalls bei einem dramatischen Zugriff der Einsatzkräfte getötet. Auch mindestens vier weitere Personen sollen tot sein. Ermittlerkreisen zufolge gehörte Coulibaly derselben dschihadistischen Gruppierung an wie die Kouachi-Brüder, die er auch kannte. Im Anti-Terror-Kampf, den diese ausgelöst hatten, waren seit Mittwoch laut Medienberichten bis zu 88 000 Kräfte von Polizei und Gendarmerie eingesetzt. Das ganze Land fieberte beim Bemühen mit, die beiden meistgesuchten Männer Frankreichs zu ergreifen. Zumal sie sich mehreren Zeugen gezeigt hatten.

Ein Mann, der ihnen gestern begegnet war, beschrieb sie als "sehr ruhig und gelassen, sehr professionell, gar nicht genervt". Wenn die Medien Fragen stellten, so erklärten sie ihm, sollte er ihnen eine Antwort geben: "Sag einfach, dass es Al-Kaida Jemen war."

Da hatten die Ermittler längst die Verbindung zu der islamistischen Terror-Organisation hergestellt und die Radikalisierung des 34-jährigen Said Kouachi und vor allem seines zwei Jahre jüngeren Bruders Chérif nachgezeichnet. Nannte er sich zunächst selbst einen "Gelegenheits-Muslim", so wurde Chérif 2005 kurz vor der geplanten Ausreise in ein Al-Kaida-Trainingslager im Irak festgenommen und verurteilt. 18 Monate verbrachte er in Haft. Hat er seinen Bruder in seinen mörderischen Hass auf die Satiriker von "Charlie Hebdo" gezogen, die als Zielscheibe ihres Spotts - neben vielen anderen - immer wieder den Propheten Mohammed aussuchten? "Wir haben 'Charlie Hebdo' getötet", riefen sie triumphierend nach ihrer Attacke, bei der zwölf Menschen starben, darunter zwei Polizisten.

Doch dass ihnen genau das nicht gelungen ist, will die dezimierte Redaktion beweisen: Noch im Schockzustand, arbeitet sie bereits an der nächsten Ausgabe, die am Mittwoch in einer Millionenauflage erscheinen soll. Kolumnist Patrick Pelloux erklärt, man führe den Willen des getöteten Chefredakteurs Stéphane Charbonnier, Charb genannt, weiter: "Charb hat immer gesagt, die Zeitung muss erscheinen, koste es, was es wolle." Für die Finanzierung erhielt die Redaktion einen Fonds mehrerer französischer Medien in Höhe von rund 250.000 Euro. Laut der Zeitung "Figaro" gewann "Charlie Hebdo" allein in den zwei Tagen nach dem Attentat 13.000 neue Abonnenten.

Auch gibt es eine überwältigende Anzahl von Menschen, die ihrer tiefen Betroffenheit Ausdruck verleihen. In Frankreich scheint der Alltag stehengeblieben, seit man eine der größten Errungenschaften des Landes angegriffen hat: die Freiheit. Der Französische Rat des muslimischen Kultes verurteilte "mit größter Entschlossenheit Gewalt und Terrorismus, woher er auch kommt".

Am Sonntag werden Hunderttausende zum großen Marsch der "nationalen Einheit" erwartet, die Präsident François Hollande als kraftvolle Antwort auf den Terror sehen will. "Ich habe Vertrauen in uns, ich habe Vertrauen in unser Land", versicherte er gestern. Denn Frankreich zeige, dass es zusammenstehen könne. Jeder sei zu dieser Demonstration der Toleranz willkommen. Denn nachdem der übliche politische Streit kurz zur Ruhe gekommen war, klagte Rechtspopulistin Marine Le Pen, ihr Front National sei als einzige Partei nicht zur Vorbereitung der Kundgebung eingeladen worden.

Wird Frankreich zur Ruhe kommen? Die Attentäter sind tot. Doch nach Tagen des Terrors bleiben viele Fragezeichen.

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