Turbulent ist kein Ausdruck Boris Johnson blickt auf sein erstes Jahr als Premierminister zurück

London · Der britische Premierminister Boris Johnson blickt auf zwölf Monate voller Höhen und Tiefen auf seinem Posten zurück. Die Aussichten auf ein erfolgreiches zweites Amtsjahr sind gering.

 Knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist der britische Premierminister Boris Johnson am Donnerstag nach Schottland gereist.

Knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist der britische Premierminister Boris Johnson am Donnerstag nach Schottland gereist.

Foto: AFP/ANDREW MILLIGAN

Wenn ich die letzten zwölf Monate überstehen konnte, mag er sich denken, dann kann ich alles überstehen. Vor einem Jahr wurde Boris Johnson britischer Premierminister, und das erste Amtsjahr als Achterbahnfahrt zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Es war alles dabei: vom Verlust der parlamentarischen Mehrheit bis zur Niederlage vor dem höchsten Gericht des Landes. Dann der größte Wahlsieg der Konservativen seit mehr als dreißig Jahren und der vollzogene Brexit Ende Januar. Schließlich die Corona-Katastrophe, Verlobung, Covid-Ansteckung und erneute Vaterfreuden: Turbulent ist gar kein Ausdruck.

Johnsons liebste Filmszene stammt aus „Der Pate“

Boris Johnson wurde einmal gefragt, was seine liebste Filmszene sei und antwortete: „Die mehrfachen Vergeltungsmorde am Ende von ‚Der Pate‘.“ Siehe da, der joviale Politclown hat auch seine dunkle Seite. Wie brutal er sein kann, demonstrierte Johnson, nachdem er am 24. Juli 2019 in die Downing Street einzog und kurzerhand 17 Minister feuerte, die nicht Brexit-treu genug waren. Seine Kabinettsumbildung wurde von der britischen Presse wahlweise mit „Kehraus“, „Blutbad“ oder „Massaker“ kommentiert.

Ähnlich brachial reagierte Johnson wenige Wochen später, als sich Fraktionskollegen mit der Opposition im Unterhaus verbündeten, um einen harten Brexit gesetzlich zu verhindern. Der Premierminister warf die Rebellen einfach aus der Fraktion. 21 langjährige und verdiente Tory-Abgeordnete wurden vor die Tür gesetzt, darunter zwei ehemalige Schatzkanzler und neun Ex-Kabinettsminister. Und mit Nicholas Soames hatte Johnson sogar den Enkel von Winston Churchill aus der Konservativen Partei ausgestoßen.

Freilich ging damit Johnson seine parlamentarische Mehrheit abhanden. Im Unterhaus verlor er wegen seines harten Brexit-Kurses eine Abstimmung nach der anderen. Er reagierte damit, das Unterhaus in einen Zwangsurlaub zu schicken. Vor dem „Supreme Court“ allerdings unterlag er, die Richter warfen ihm Verfassungsbruch vor und kassierten die sogenannte „Prorogation“. Bei den folgenden Neuwahlen konnte Johnson dann demonstrieren, dass er korrekt kalkuliert hatte: Den Briten gefiel Boris’ Versprechen, den Brexit unter allen Umständen durchziehen zu wollen. Johnson fuhr im Dezember den größten Wahlsieg für die Konservativen seit 1987 ein und darf jetzt mit einer absoluten Mehrheit von 80 Sitzen regieren.

Nachdem der Premierminister am 31. Januar den formellen Austritt Großbritanniens aus der EU feierte, ging er in Urlaub. Während er Ferien in Übersee machte, breitete sich im Königreich das Coronavirus aus. Johnson ignorierte die Gefahr, nahm an den ersten fünf Krisensitzungen nicht teil und brüstete sich im März noch damit, Covid-Patienten die Hände geschüttelt zu haben. Viel zu spät am 23. März ging Großbritannien in den Lockdown.

Johnson steckte sich selbst an, musste drei Tage auf der Intensivstation verbringen und es hätte, sagte er hinterher, auch schief gehen können. Nach drei Wochen Rekonvaleszenz konnte er wieder zum Dienst antreten und der Nation zusätzlich Mut machen mit der Verkündigung, wieder Vater geworden zu sein. Seine Verlobte Carrie Symonds hatte Ende April einen gesunden Jungen zur Welt gebracht. Seitdem allerdings gehen die Popularitätswerte des Premierministers langsam in den Keller.

Die Covid-Katastrophe, so wird den Briten allmählich klar, ist zum guten Teil hausgemacht, und die Regierung trägt Verantwortung für viele Versäumnisse. Mit Keir Starmer als neuem Labour-Chef gibt es jetzt wieder einen Oppositionsführer im Land, der Boris Johnson im Unterhaus ein ums andere Mal auf seine Fehler aufmerksam macht. Jetzt bietet sich die Zukunft nicht für Schönwetterreden an. Die Aussichten auf ein erfolgreiches zweites Amtsjahr sind gering.

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