Interview mit dem russischen Botschafter Botschafter: "Von Russland geht keine Aggression aus"

Moskau · "Wir bedrohen niemanden“, sagt der russische Botschafter Sergej J. Netschajew mit Blick auf die russischen Raketensysteme und den INF-Vertrag. Auch fragt er sich, warum russisches Gas so umstritten ist.

Herr Botschafter, die Nord-Stream-2-Pipeline hat die USA erzürnt und Europa gespalten. Warum ist russisches Gas so umstritten?

Sergej J. Netschajew: Das frage ich mich auch. Es ist ein wirtschaftliches Projekt. Profitabel für alle Seiten. Win-win-Situation nennt man so etwas. Wir haben Erdgas und können es sicher und zuverlässig nach Deutschland liefern. Wir bekommen Devisen, Deutschland eine sichere und zuverlässige Energielieferung. Gas ist zuverlässig und keinen Witterungsbedingungen ausgesetzt. Die Unternehmen und Haushalte brauchen zuverlässige Energie, dabei können wir helfen. Unser Gas ist sicherer als Atomkraft und wird ökologisch sauberer gewonnen als das amerikanische Flüssiggas.

Ein Energievertrag zwischen zwei Staaten in diesem Umfang hat immer auch eine politische Komponente.

Netschajew: Einverstanden. Aber wir haben in den vergangenen 50 Jahren eine stabile und verlässliche Lieferbeziehung zu Deutschland, auch im Kalten Krieg. Es gibt also eigentlich keine Argumente gegen dieses rein wirtschaftliche Projekt. Wir haben ja bewiesen, dass es auch in politisch schwierigen Zeiten eine stabile verlässliche Lieferung gab. Warum sollte das jetzt anders sein? Die USA haben das Thema unnötig politisiert, weil sie sich unliebsamen Wettbewerb auf dem europäischen Energiemarkt vom Hals halten wollen.

Wenn Russland eine lupenreine Demokratie wäre, wäre der Widerstand gegen den Deal in Europa vielleicht kleiner.

Netschajew: Das ist keine politische Frage. Im Kalten Krieg, in den 70er und 80er Jahren, war die Konfrontation zwischen den Blöcken viel schärfer, trotzdem war Deutschland mit den Gaslieferungen immer zufrieden, es gab nie Probleme. Wir politisieren grundsätzlich den Wirtschaftsaustausch mit anderen Ländern nicht.

Wie bitte? Russland hat im Konflikt mit der Ukraine im November den wirtschaftlich wichtigen ukrainischen Hafen Mariupol blockiert. Ihre Politik hat oft Auswirkungen auf die Wirtschaft.

Netschajew: Das ist übertrieben. Wir versperren die Zugänge zu ukrainischen Häfen nicht. Es gibt Regeln in der Meerenge, an die sich ukrainische Schiffe nicht gehalten haben im vergangenen Herbst. Das Thema ist aber erledigt. Es gibt keine Hindernisse.

Hat Nord Stream 2 negative Auswirkungen auf die Ukraine?

Netschajew: Das Projekt in der Ostsee verschließt nicht die Möglichkeit, dass die Ukraine weiterhin ein Transitland für russisches Gas bleibt.

Aber es fließt weniger Gas?

Netschajew: Höchstwahrscheinlich, ja. Das ist eine rein ökonomische Frage.

Die Sorge in der Ukraine ist, dass das Land von Gaslieferungen abgeschnitten wird.

Netschajew: Noch mal. Ukraine kann ein Transitland bleiben. Das ist eine wirtschaftliche Frage. Die Ukraine muss angemessen bezahlen und das Gas technisch durchleiten können. Im Moment werden zu viele politische Fragen in der Ukraine mit den Gaslieferungen verknüpft.

Der EU-Kompromiss sieht vor, dass Nord Stream 2 zu Ende gebaut werden kann, aber die Auflagen steigen.

Netschajew: Wir müssen den Endentwurf des Textes abwarten. Wir haben uns über die plötzlichen Bedenken Frankreichs gewundert und waren auch irritiert, aber wir freuen uns, dass es nun weitergeht.

Die USA wollen den INF-Vertrag kündigen. Droht ein neuer Rüstungswettlauf?

Netschajew: Ich hoffe nicht. Wir haben in einem beispiellosen Vorgang alle technischen Details zu unseren Raketensystemen offengelegt. Sie übersteigen die 500-Kilometer-Reichweite nicht, sie können nur bis 480 Kilometer fliegen. Alleine die Tankanlage ist zu einer größeren Reichweite nicht in der Lage. Wir erfüllen den Vertrag. Aber die USA sind an Beweisen offenbar nicht interessiert.

Das sehen die USA anders. Die Vorwürfe sind heftig. Erleben wir gerade rhetorisch einen neuen Kalten Krieg?

Netschajew: Das kann man so sehen. Leider erinnert die rhetorische Schärfe in der Auseinandersetzung an die Zeiten des Kalten Krieges.

Sie könnten mit einseitigen Abrüstungsschritten Ihren Willen zeigen.

Netschajew: So einfach ist es nicht. Von uns geht keine Aggression aus. Wir haben keine Abrüstungsverträge gekündigt, wir haben keine militärische Infrastruktur in Polen und den baltischen Staaten aufgebaut. Es gibt einen Witz in Russland. Demnach haben die bösen Russen die Grenzen immer weiter Richtung Nato verschoben.

In Polen und dem Baltikum ist vielen nicht nach Scherzen zumute. Menschen haben Angst.

Netschajew: Ich glaube das nicht. Da wird viel künstlich aufgebauscht. Wir bedrohen niemanden.

Wann gibt es Fortschritte in der Ukraine-Krise?

Netschajew: Das Minsker Abkommen gilt. Wir akzeptieren es, wir halten uns daran. Wir sind bereit, weitere Schritte zu gehen. Dafür muss Kiew mit den Provinzen Luhansk und Donezk endlich in direkte Gespräche gehen. Es gibt keinen Dialog, weil Kiew das nicht will. Die Menschen in der Region sind ukrainische Staatsbürger, aber sie wollen Russisch sprechen, ihre orthodoxe Religion leben und den Handel mit Russland intensivieren. Das muss Kiew möglich machen.

Wird Außenminister Lawrow in München am Freitag eine neue Ukraine-Initiative starten?

Netschajew: Ich gehe davon aus, dass er sich eindeutig zum Abkommen von Minsk bekennt. Wir brauchen jetzt aber substanzielle Schritte der ukrainischen Seite. Sie wollen uns eine Beobachtung der Wahlen verbieten und sie ukrainisieren die Regionen, in denen eine starke russische Bevölkerung lebt.

Was mögen Sie an den Deutschen?

Netschajew: Die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Ein Mann, ein Wort.

Oder eine Frau, ein Wort?

Netschajew: Auch das. Das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Putin ist von Respekt geprägt, wenn Sie darauf anspielen.

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