Kolonialismus-Vorwurf an Paris Brasilien und Frankreich im Nachbarstreit

Paris · Brasiliens Kolonialismus-Vorwurf an Paris ist nicht nur Rhetorik: Frankreich verfügt im Amazonas-Gebiet über das Überseegebiet Guyane. Brandrodungen sind dort aber seltener als in Brasilien.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro will die Soforthilfe der G7-Staaten im Umfang von 20 Millionen Euro nur annehmen, wenn unter anderem sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron seine „Beleidigungen“ zurücknimmt. Der verbale und überaus giftige Schlagabtausch zwischen den beiden Staatschefs birgt im Kern den Vorwurf Brasilias, Macron verhalte sich „kolonialistisch“, indem er die nationale Souveränität des grössten Landes Südamerikas bei der Brandbekämpfung im Amazonasgebiet in Frage stelle.

„Kolonialdenken“ - das Wort ist nicht hingeworfen. Während Brasilien eine portugiesische Kolonie war, verfügte das ehemals weltumspannende „Empire“ Frankreichs in Südamerika seit dem 16. Jahrhundert über eine Sklavenkolonie. Sie mutierte später über die Stadt Cayenne zu einer eigentlichen Strafkolonie, die im Roman „Papillon“ (verfilmt mit Steve McQueen) auf schaurige Weise verewigt ist. Heute ist das Übersee-Departement Guyane vor allem bekannt für seine Satelliten-Startrampe Kourou, an der auch Deutschland über die Europäische Raumfahrtagentur ESA beteiligt ist.

Die im Regenwald verlaufende Grenze zwischen Brasilien und Französisch-Guayana sorgte immer wieder für böses Blut. Im 19. Jahrhundert kam es gar zu Militäreinsätzen zwischen Frankreich und dem mittlerweile unabhängigen Brasilien.

Heute strömen tausende von brasilianischen Migranten und Goldgräbern in das französische Gebiet. Es hat einen höheren Lebensstandard hat als seine Nachbarn Surinam (ehemals Holland) und Brasilien, lebt aber vor allem von Subventionen: 90 Prozent seiner Wirtschaft sind in Guyane staatlich finanziert; 31 Prozent der 270.000 Einwohner sind Beamte.

Französisch-Guyana ist fast nur an der Küste besiedelt; 97 Prozent seines Territoriums besteht aus gut erhaltenem Regenwald. Macron betonte am G7-Gipfel, Frankreich besitze damit das fünftgrößte Waldgebiet der neun Amazonas-Anrainer. Fast die Hälfte davon ist geschützte Naturschutzzone - viel mehr als anderswo. Das Problem der Brandrodungen ist deshalb quantitativ und vergleichsweise weniger gravierend als in Brasilien.

Doch auch Guyana leidet unter massiven Umweltschäden. Seit 2016 vergibt Paris mehr Bergbaulizenzen an internationaler Konzerne zu. Ein Verband der amerindischen Völker warf Macron am Sonntag vor, er prangere die Amazonas- Zerstörung in Brasilien und Bolivien an, habe aber „in Guayana gleichzeitig 360.000 Hektaren Wald multinationalen Bergbaumultis zugesprochen“. Immerhin hat die französische Regierung im Mai das riesige, von Umweltschützern und Eingeborenen bekämpfte russisch-kanadische Goldschürfprojekt „Montagne d'Or“ zurückgewiesen.

In Französisch-Guyana roden aber auch illegale Goldsucher zehntausende von Hektaren Wald. Mit Quecksilber und Blausäure vernichten sie die Biosphäre bis in die Tiefe. Die in Guyana stationierten Fremdenlegionäre versuchen dieser Plage mit der Operation „Harpie“ seit 2008 Herr zu werden. Der Erfolg ist beschränkt. Im Juli sind beim Angriff auf eine wilde Goldgräbersiedlung drei Soldaten ums Leben gekommen.

Alles in allem ist das ökoklogische Verhalten Frankreichs in Guyana kaum exemplarisch. Nicht Bolsonaro, sondern die französischen Grünen meinen deshalb, Macron sollte sich nicht länger als „Schutzherr Amazoniens“ aufspielen.

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