Brexit wird Realität Britische Abgeordnete verabschieden sich aus Brüssel

Die Trennung wird Realität: Das europäische Parlament verabschiedete die britischen Abgeordneten mit „Auf Wiedersehen“, nicht mit einem „Lebe wohl“. Nun stehen schwierige Zeiten an.

 Hat gut feixen: Nigel Farage, Chef der Brexit-Partei, hat sein politisches Hauptziel erreicht.

Hat gut feixen: Nigel Farage, Chef der Brexit-Partei, hat sein politisches Hauptziel erreicht.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Um kurz nach 18 Uhr ist der Augenblick da. Gerade haben die 751 Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Brüssel mit einer klaren Mehrheit das Brexit-Abkommen beschlossen: 621 stimmten für den Vertrag, 49 dagegen (13 Enthaltungen). Nun erheben sie sich, reichen sich die Hände und stimmen, begleitet von einem schottischen Dudelsack-Spieler, das Lied „Auld Lang Syne“ an (die deutsche Version ist unter dem Titel „Nehmt Abschied, Brüder“ bekannt). Ein letzter Applaus, ein letztes Goodbye, dann wurden die 73 britischen Abgeordneten zu den Klängen der Europa-Hymne, der „Ode an die Freude“ aus dem letzten Satz der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, aus dem Saal begleitet. „Wenn ich den Brexit aufgehalten könnte, würde ich heute mit Nein stimmen“, sagte der Liberale Guy Verhofstadt, der die Verhandlungen für das EU-Parlament geführt hatte vor dem Votum über den Austrittsvertrag. „Wir sagen ‚Auf Wiedersehen‘, nicht ‚Lebe wohl‘“, meinte der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold - ein frommer, derzeit undenkbarer Wunsch. Am morgigen Freitag, den 31. Januar, um 24 Uhr wird die britische Fahne vor dem Brüsseler Parlamentsgebäude eingeholt: Der Brexit ist dann vollzogen.

Nach 17.197 Tagen oder 47 Jahren und einen Monat nach dem Beitritt zur Europäischen Union verlässt das Vereinigte Königreich die Gemeinschaft. Statt wie bisher 512 Millionen Einwohner hat die Union dann nur noch 446 Millionen. Das Parlament wird von 751 auf 705 Abgeordnete verkleinert. 27 Sitze gehen an Nachrücker aus insgesamt 14 Mitgliedstaaten, die übrigen Stühle bleiben frei, abmontiert werden sie nicht, wie die Parlamentsverwaltung gegenüber unserer Zeitung betonte.

Nur eine Gruppe wollte an diesem Mittwoch feiern: die 23 Abgeordneten der Brexit-Partei um Nigel Farage. „Wir lieben Europa, aber wir hassen die Europäische Union“, sagte der 55-Jährige gestern wörtlich. Für viele war er durch Sätze wie diese zum Feindbild geworden. „Ich werde es vermissen, der schlimme Bösewicht zu sein“, gab er gestern zu. Das blieb er bis zum Schluss und provozierte noch einen kleinen Eklat. Nach einem Ordnungsruf der Sitzungspräsidentin wegen des Zeigens britischer Fahnen (dies verbietet die Geschäftsordnung des Hauses) zogen seine Brexit-Parteifreunde aus dem Parlament aus. Zuvor hatten bereits die Fraktionen, die zum Teil langjährige Mitglieder verlieren, Abschied genommen. „Wir waren in den vergangenen Tagen sehr traurig“, meinte der Chef der britischen Labour-Vertreter in Brüssel und Straßburg, Richard Corbett (65). Fast schon trotzig hatten viele ihrer Fraktionskollegen zuvor betont, die Türen zur EU stünden für die Briten jederzeit offen - falls diese zurück in die Arme der Europäischen Union wollten. Doch davon wird in den kommenden Monaten wohl nicht die Rede sein. London und Brüssel müssen ihre getrennte Zukunft organisieren.

Bereits am kommenden Montag will die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen einen Fahrplan und ein Mandat für die Verhandlungen über einen Handelsvertrag festlegen. Die Staats- und Regierungschefs sollen diesen spätestens bei ihrem Gipfeltreffen am 20. Februar billigen, die Außenminister wenige Tage später. „Keine Zölle, keine Kontingente, kein Dumping“, heißt die rote Linie. Soll heißen: Großbritannien darf am Binnenmarkt teilnehmen, wenn London die Einhaltung der EU-Standards in der Umwelt-, Steuer- und Sozialpolitik sowie bei Waren zusichert. Die Briten können eigene Regeln erlassen, das war schließlich der Sinn des Brexits. Im Miteinander mit Europa aber müssen sich die Unternehmen, die Dienstleister, die Landwirte nach der EU richten. Eine Gemengelage, die zumindest schwierig werden dürfte.

Dass ein solches Abkommen mit beiderseitig akzeptierten Regelungen für alle brisanten Fragen wie zum Beispiel den Fischereirechten in der Nordsee bis zum Jahresende zustande kommt, schließen viele aus. Eine Verlängerung der Verhandlungen hat Premierminister Boris Johnson bereits abgelehnt. Doch nicht wenige in Brüssel sind überzeugt, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Für die Abgeordneten von der Insel aber endete am Mittwoch ihre Arbeit in Europa. Die Verwaltung hat ihnen mitgeteilt, dass die Büros bis Freitag „besenrein“ übergeben werden müssen. Schon bei der heutigen Plenarsitzung werden die Volksvertreter aus Großbritannien nicht mehr dabei sein. Europa hat nur noch 27 Mitglieder – vorerst.

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