Politik in China Chinas Präsident entdeckt den Rechtsstaat

PEKING · Xi Jinping geht es laut Experten nicht um eine unabhängige Justiz, sondern er will seine Macht zementieren.

Die Hoffnungen waren groß, als die Kommunistische Partei vor zwei Jahren Xi Jinping zu ihrem Chef kürte und damit zum mächtigsten Mann in China. Der heute 61-Jährige galt als eloquent und volksnah, der in der Öffentlichkeit auch mal spontan freundliche Worte findet. Er wurde als Hoffnungsträger gehandelt, der China nach drei Jahrzehnten wirtschaftlicher Öffnung vielleicht auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bescheren würde.

Von Demokratie und Rechtsstaat redet er nun nach zwei Jahren im Amt zwar auch. Beim sogenannten 4. Plenum des Zentralkomitees, dem in diesem Jahr wichtigsten Treffen der KP, das am Donnerstag zu Ende ging, war "Rechtsstaatlichkeit" sogar das Hauptthema. Und zumindest dem Abschlusskommuniqué zufolge meint es die Parteispitze ernst: "Der Rechtsstaat ist Grundlage für eine funktionierende Marktwirtschaft", heißt es in einem Absatz. China müsse sich von dem überkommenen Konzept lösen, dass einzelne Personen das Sagen haben, heißt es in einem anderen.

Das Kommuniqué kritisiert, dass einige Parteifunktionäre noch immer denken, sie würden über dem Gesetz stehen. Das korrumpiere das System und gefährde die Stabilität des Landes. Künftig sollen Funktionäre weniger Einfluss auf Gerichte ausüben. Es werde öffentliche Kritik von Parteimitgliedern geben, falls sie Einfluss auf Gerichtsverfahren nehmen sollten.

Doch ebenfalls zum Ende des 4. Plenums verkündet die KP-treue Volkszeitung den Parteiausschluss von sechs ranghohen Spitzenkadern. Ihnen wird Korruption vorgeworfen. Wie schon bei den Anklagen gegen Bo Xilai, Zhou Yongkang und einer Reihe weiterer Spitzenpolitiker werden diese Verfahren alles andere als rechtsstaatlich gehandhabt. Vielmehr entscheidet über ihr Schicksal auch weiter die Disziplinarkommission der Partei, die Richter folgen deren Anweisungen nur. Der erhoffte große Wurf bei der angekündigten Justizreform bleibt damit aus. Die chinesische Führung strebe auch weiterhin keine Rechtsstaatlichkeit nach westlichen Vorstellungen an, sagt Matthias Stepan vom Berliner China-Institut Merics. "Die Partei betrachtet Recht als ein Herrschaftsinstrument." Gleich nach Amtsantritt hatte Xi die Korruptionsbekämpfung zur Chefsache erklärt und das ganze Land mit einer Kampagne überzogen, die bis heute anhält.

Angesichts diverser Skandale vieler Spitzenbeamter und Parteikader, die sich selbst bereichert hatten und Millionen von Yuan illegal ins Ausland schleusten, begrüßten viele sein Vorgehen. Mehr als 40 000 Parteikader sind bereits ihrer Ämter enthoben, in Haft oder vor Gericht gestellt, 80 Kader im Rang von Ministern oder Provinzgouverneuren. Es handelt sich um die umfassendste Säuberungswelle der KP der vergangenen 35 Jahre.

Doch inzwischen zeigt sich: Xi nutzt die Kampagne auch, um sich seiner innerparteilichen Widersacher zu entledigen. Und auch gegen Bürgerrechtler und Regimekritiker geht er mit harter Hand vor - meistens ohne rechtliche Grundlage. Vertraute hingegen verschont er. Seine eigene Verwandtschaft soll Recherchen der "New York Times" zufolge über gigantische Vermögen im Ausland verfügen. Sie wurden selbstverständlich nicht belangt.

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